Bitte den Hirschrücken !bestücken

■ Bremer NachwuchsköchInnen wetteiferten um das Lukullus-Medaillon

Das Waller Schulzentrum am Rübenkamp? Das klingt nach Plattenbau, Fußball und Proletariat. Falsch. Gestern wurde das Schulzentrum zum Schauplatz der „Haute Cuisine“:

Ein Dutzend NachwuchsköchInnen des zweiten und dritten Ausbildungsjahres nahmen am Jugendkochwettbewerb um die „Bremer Lukullus Medaille 95“ teil, der vom Koch-Club Bremen, Mitglied im Verband der Köche Deutschlands, organisiert wird. 38 MitbewerberInnen waren in der Theorie abgehängt worden, bevor es in den beiden Schulküchen ans Eingemachte ging. Wer hier siegen würde, könnte an den norddeutschen und womöglich an den gesamtdeutschen Meisterschaften teilnehmen. Außerdem winken Preise von 300 Mark bis zum Küchenmesser.

Gegen Mittag erhielten alle die bis dahin geheimgehaltene Aufgabe: Ein vollständiges Menü, bestehend aus einer Vorspeise, warm oder kalt, mit Garnelen. Der Hauptgang war mit einem Hirschrücken zu bestücken, das Dessert mit „Deutschem Tafelobst“. Diesen Grundzutaten wurde ein reichhaltiger Warenkorb zur Seite gestellt, der neben der nichtdeutschen Kiwi und Orange erlesene Kräuter enthielt, Molkereiprodukte, Öle, Kräuter, Sprossen und Gemüse.

Diese opulente Rohware galt es von 14 bis 17 Uhr in ein Drei-Gang-Menü für 6 Personen umzuwandeln: Fünf Teller für den nebenan wuselnden Service, der bereits die Platzdeckchen für die 60 geladenen Gäste aus Gastronomie und Wirtschaft auslegte, ein Teller war der Jury vorbehalten. Doch bevor diese erfahrenen Meisterköche aus dem „GV-Bereich“ (Großverpflegung), dem Krankenhaus und der Gastronomie, ihren Gaumen als Meßinstrument einsetzten, wandelten sie strengen Blickes am Nachwuchs vorbei. Mit „Ordnung und Sauberkeit“ ist die erste Spalte im Bewertungsbogen überschrieben, außerdem waren Arbeitseinteilung, Arbeitstechnik, Geschmack, Aussehen und Anrichteweise zu beurteilen.

Was nicht in die Bewertung einging, waren Rechtschreibfehler in den Menütexten der Jungköche. Ist ja auch schwierig, zwischen Maronenmousse und Sabayon, zwischen ausgarniert und gratiniert noch die „Walnüße“ im „marienirten“ Obstsalat unterzubringen. Nicht vor dem Duden, doch allemal vor dem Magen bestanden dann die Produkte der KöchInnen: Allein die Ankündigung von „Riesengarnelen im Lachsmantel an weißer Buttersauce“ oder von „Hirschmedaillons im Speckmantel mit einer Pfifferlingrahmsauce mit Broccoli und Mandelkroketten“ war atemberaubend. Danach vielleicht ein klitzekleines „Amarettoparfait mit deutschem Tafelobst“?

Himmlische Gerüche zogen durch die Räume – und all diese Wunder in nur vier Stunden? „Wieso, das ist doch einfach“, antworteten die ElèvInnen gelassen. Sie ließen sich nicht kirre machen, räumten auf, räumten ab, alles sah nach Plan aus. Da lag kein überflüssiges Schnippelchen Gemüse herum, kein Fitzelchen Obst. Keine Dose, kein Chaos, kein Schmier. Blitzblank, wie aus der Werbung. „Das gehört dazu“, meint einer der Ausbilder lakonisch. Er weiß auch, warum die meisten der TeilnehmerInnen so dünn sind: „Die sind ja noch jung.“

Nebenan haben die „Hofas“, die SchülerInnen der Hotelfachschule, jetzt den Drink des Tages kreiert. Einen Cocktail namens „Blue Lukull“ – sieht auch sehr lecker aus. An vielen Hotelfachschulen dürfen die Frauen nicht an die Bar, obwohl das zum Fach gehört. Bar und Technik bleiben häufig den Männern überlassen, dafür sind sie vom Putzen befreit. Angesichts dieser Privilegien ist fast erstaunlich, daß Männer nur 25 Prozent der Auszubildenden stellen. Aber, sagt der Ausbildungsleiter, „die Männer sind im Kommen.“

Eine Schwingtür entfernt ist das Geschlechterverhältnis umgekehrt: Zwei Köchinnen, denn „hier sind die Frauen im Kommen“, versichert wiederum deren Ausbildungsleiter. Wie auch immer, eins kommt bestimmt: Der Appetit, und zwar mächtig. Dürfen die KöchInnen ihre Wunder denn anschließend mit verspeisen? „Nein, die hatten zu Mittag Personalessen“, antwortet der Juryvorsitzende. „Spießbraten mit Kraut“. Womit mal wieder belegt ist: Lehrjahre sind nun mal keine Herrenjahre.

Dora Hartmann