: Otto am Cello und Anne in Windeln
■ Eine Ausstellung im Prenzlauer Berg will die Welt der Anne Frank bebildern
Seit einiger Zeit schon tourt „Die Welt der Anne Frank“ durch die Bezirke. Nun ist sie im Prenzlauer Berg und wurde gleich das Ziel eines Anschlags: Wenige Tage nach der Eröffnung haben Unbekannte mehrere Plakate und ein Transparent vor dem Museum demoliert. Ein Schaden von mehreren tausend Mark entstand. Der Angriff richtete sich gegen eine Ausstellung, deren Programm es ist, Neonazismus und Rassismus pädagogisch anzuprangern. Wie so oft ist fraglich, ob die Adressaten erreicht werden.
Noch größere Zweifel kommen auf, wenn man sich das Ergebnis ansieht: Die in Zusammenarbeit mit der Anne-Frank-Stiftung in Amsterdam entstandene Ausstellung besteht aus unzähligen mit Texten und Fotos bedruckten Stoffbahnen, die aus Platznot nur eng und unübersichtlich angeordnet werden konnten. Es bleibt einem also nicht erspart, sich die Beine in den Bauch zu stehen und dabei allmählich in die Rolle eines „Ausstellungslesers“ zu verfallen.
„Hätte Anne Frank, zu Lebzeiten ein Mädchen unter vielen, auf unsere Hilfe rechnen können, wäre sie unser Nachbarskind gewesen?“ wird man ganz am Anfang gefragt. Auf Selbsterforschung eingestimmt, machen wir uns auf den Weg, immer brav an den Stoffbahnen entlang. Man findet ein bebildertes Geschichtsbuch mit Erklärungen von zweifelhaftem Wert.
Bei den Familienbildern der Franks ist nicht viel falsch zu machen: Vater Otto Frank am Cello, Anne in Windeln. Doch wenn die „große Geschichte“ auftaucht, wird mit der gröbsten Nadel gestrickt: Hitlers Ernennung zum Reichskanzler ist demnach nur den Wählern anzulasten, die 1932 die NSDAP zur stärksten Partei machten. Illustriert wird dieser Abschnitt durch fünf Fotos – zwei Wahlplakate der NSDAP, den Sieg feiernde Nazis vor dem Brandenburger Tor, das Frankfurter Rathaus mit Hakenkreuzfahne und der Nazi-Bürgermeister am Schreibtisch, von Blumen umringt.
Auf diese Weise erfährt man alles und nichts: Arbeitsdienst = Schaufeln tragende Männer, Jugendpolitik = flötende BDM-Mädchen, Justiz und Rechtsprechung = Freisler, ein Urteil verlesend. Der Abschnitt „Erziehung und Bildung“ erfreut durch ein Bild vom Rektorenwechsel an der Universität Berlin: Wilhelm Krüger in vollem NS-Ornat posiert dümmlich dreinblickend zusammen mit einem Schnauzbart-bewehrten Kollegen vor einer Tür mit einer Aufschrift „Herren“.
Entsprechend gelöster gehen wir weiter und wünschen uns mit schlechtem Gewissen, daß Anne Frank nun endlich mit dem Tagebuchschreiben beginnen möge. Im 36. Abschnitt der Ausstellung ist es dann bald endlich soweit. Die Familie Frank ist nach Holland entkommen, und nachdem wir das politische Geschehen dort in Siebenmeilenstiefeln abgeschritten haben, nähern wir uns unter „Die Familie Frank – Untertauchen“ dem Wesentlichen. Seit 6. Juli 1942 lebt Anne im Versteck, am 4. August wird sie mit ihrer Familie entdeckt und deportiert. Nur Otto Frank überlebt. – Einige Fotos vom Versteck, Zitate aus dem Tagebuch, dürre Zahlen – wer wissen will, wie denn nun die „Welt der Anne Frank“ damals ausgesehen hat, der bleibt auch weiterhin auf das Tagebuch angewiesen. Schließlich die Befreiung, alliierte Soldaten verteilen Kaugummi, im Vergnügungsviertel von Amsterdam wird getanzt. Noch ein paar Meter und wir sind im Hier und Heute, bei Fotos von Schmiereien in KZ-Gedenkstätten und der Neonazipresse. Eines der letzten Bilder zeigt Jugendliche, die mit Äxten Vietnamesen in der S-Bahn traktieren.
Vieles wird gezeigt in dieser Ausstellung, und doch ist nichts zu sehen. Die Ausnahme ist eine Glasvitrine im Nebenraum. Schief und ohne Bezeichnung liegen da einige Bücher. Bei näherem Hinsehen entpuppen sie sich als Lesebücher der Anne Frank. Auf den Umschlag hat sie sorgfältig ihren Namen geschrieben. Daneben eine aufgeschlagene Seite des Familienbuchs mit einer Eintragung des Frankfurter Standesamtes. Ein Herr namens Klink hat seine Unterschrift und einen Stempel daruntergesetzt. Eine akkurate Beamtenunterschrift, wie sie sicher auch unter dem Bergen-Belsener Totenschein der Anne Frank zu finden war. Mit ihr wird eine „Welt“ besser charakterisiert als mit einer Stoffsammlung für den Sekundarunterricht. Stephan Schurr
„Die Welt der Anne Frank“ – Prenzlauer Berg Museum, bis 19.3., So.–Fr., diverse Öffnungszeiten, Prenzlauer Allee 75. Infos über das Begleitprogramm unter Telefon: 4240-1097.
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