Unorte: Grüngürtel Von Claudia Kohlhase

In der Stadt ist Natur Operette. Was soll man oben mit dem Himmel, wenn man unten mit den Füßen die Straße festhalten muß. So was können höchstens Flaneure, und Flaneure sind ausgestorben. Heutzutage treten Trottoirs nur noch vollverschalte Allergiker auf dem Weg zur Arbeit oder zum Arzt, und die Bäume an den Kreuzungen sehen aus wie hysterische Schülerlotsen. Aber vermutlich laufen deshalb überall die Leute los. Zwar wissen sie selbst nicht, wohin, aber Hauptsache los. Alles andere wäre ja stehengeblieben, und das geht in der Stadt nicht.

Stadt ist Bewegung, und darum sieht man Rosenmontagsumzüge auch nur in Städten. Von mir aus auch in Haufendörfern, jedenfalls nicht im Wald oder auf der Heide, wo noch am ehesten Rosen stünden oder Nelken. Aber in der Stadt sind echte Blumen Operette, und man hat hier lieber Stiefmütterchen, zu denen Rudolf Schock singen könnte. Selbstverständlich gibt es in der Stadt viel Grün – im Grunde mehr Grün, als in Wirklichkeit vorkommen kann – und heißt dann Grüngürtel, im euphorischen Fall Park. In Parks steht Rudolf Schock als Pan hinter jedem zweiten Baum, und hinter jedem dritten steht Thomas Mann, der hier auch gut gegangen sein könnte. Mein Gott, wie der Kies gemurmelt hätte unter dem Hundeknaufstöckchen des melancholischen Literaten. Hinter ihm hätte der Freigeist scheckheftgepflegt durch die Baumkronen gepfiffen, und vor ihm wäre ein reizend gestutzter Hund gelaufen, der auf vorgezeichnete Stellen gekackt hätte. Wir sind ja in der Stadt, wo die Hundescheiße wichtiger als der Hund zu sein hat. Deswegen können im Park die Wege zum Betreten freigegeben werden.

Damit Menschen in der Stadt nicht erst in Parks müssen, um keine Hundescheiße zu treffen, gibt es noch jede Menge Grüngürtel. Eigentlich sind überall Grüngürtel, die meisten mit Tulpenschnallen und manche sogar mit kupierten Schmuckwindmühlen. Da in Operetten auch geredet werden darf, gibt es in Grüngürteln Gewässer mit Enten und Führungen mit Hostessen, die man nicht Hostessen nennen darf. Eigentlich sind Grüngürtel für solche Damen wie geschaffen, weil ihr dunkelblaues Kostüm den Stiefmütterchen so schmeichelt, und was sollen sie auch sonst machen, als Touristen von der Vorzeigbarkeit eben der Stadt zu überzeugen. Das heißt ja doch, daß alle an der richtigen Stelle sind. Die Vorzeigbarkeit von Städten richtet sich dabei nach der Anzahl der Grüngürtel, die von Hostessen bewiesen werden müssen und auch bewiesen werden, indem sie alle Touristen durch alle Grüngürtel führen. Einheimische sollen übrigens, glaubt man der Dame vom Verkehrsverein, hier auf Bäuchen Bücher lesen, jedenfalls im Sommer. Mit so was würde sich die Dame vom Verkehrsverein bei mir in die Nesseln setzen, weil ich hier niemals auf meinem Bauch Bücher lese. Für Einheimische sind Grüngürtel Operette und Enten Stolperschwellen.

Wenn einmal der Wind weht in der Stadt, halten die Leute gleich ihre Balkons fest und glauben, jetzt sei Oper. Dabei ist Wind in der Stadt Operette. Ebenfalls die Sonne, bei deren Untergang die Krankenhäuser Rettungswagen losschicken, obwohl hier wieder Rudolf Schock dran wäre. Rudolf Schock ist natürlich tot, aber die Stadt lebt komischerweise.