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■ Die größte Tresoraufbruchserie, die es je gabPanzerknacker mit Bagger

Leipzig/Neu-Ulm (taz) – Der Coup läuft immer gleich ab: Einige Tage lang wird ein Supermarkt observiert. Danach werden ein Pkw und ein Kleinlaster geklaut. In der darauffolgenden Nacht werden dann in Telefonverteilerkästen die Kabelstränge durchtrennt, anschließend eine Tür zum Supermarkt aufgebrochen und der Tresor gestohlen. Mit der Beute geht's in ein zuvor ausgekundschaftetes nahes Waldstück. Dort warten weitere Helfer. Sie brechen den Panzerschrank auf, der bleibt dann, ebenso wie der Lieferwagen, im Wald zurück. Mit dem gestohlenen Pkw türmen die Täter. Wenn die Bediensteten des Supermarktes oder ein privater Wachdienst den Einbruch bemerken, funktionieren die Telefone nicht.

Allein im Raum Leipzig hat sich dieses Szenario in den beiden vergangenen Jahren rund 300mal abgespielt. Seit einigen Monaten häufen sich ähnliche Einbrüche auch in Brandenburg, Thüringen, und Hessen. Besonders intensiv aber wird jüngst der Freistaat Bayern abgegrast. Im Raum Feuchtwangen, Augsburg, Kissing, Ingolstadt, Erding in Oberfranken und Neu-Ulm wurden bereits mehr als 50 Aufbrüche registriert.

„Sowohl gegen Polizeibeamte und private Wachdienste als auch gegen Sachen wird äußerst rabiat vorgegangen“, weiß Norbert Röder, Leiter der „Sonderkommission Tresore“ vom Polizeipräsidium Leipzig. „In einigen Fällen wurden kurzerhand größere Baustellenfahrzeuge entwendet. Mit diesen haben die Täter dann einfach die Wände zu den Großmärkten eingedrückt und die Tresore aus ihren Verankerungen gerissen.“ Da kommt es schon mal vor, daß ein Bagger die Wand durchbricht, der Tresor an einem Stahlseil festgemacht und kurzerhand herausgerissen wird. „Der Sachschaden, der dabei angerichtet wird, ist noch viel größer als der Beuteschaden“, sagt Röder. Er beläuft sich inzwischen auf mehrere Millionen Mark. Einige Male sind Festnahmen gelungen. „Doch die Täter werden umgehend durch andere ersetzt.“ Bei einer wilden Verfolgungsjagd im Raum Hof im letzten September wurden drei Täter verletzt und einer getötet.

Bei den Tresorknackern handelt es sich fast ausnahmslos um rumänische Staatsbürger, wobei Röder ausdrücklich darauf hinweist, daß es meist illegal eingereiste Rumänen, jedoch keine Asylbewerber seien. Fest steht für den SoKo- Chef, daß die Täter gesteuert werden „von jemandem, der sich damit eine goldene Nase verdient“. Es gebe Hinweise darauf, daß möglicherweise auch deutsche Drahtzieher involviert sind.

Die Banden, die einen wichtigen Stützpunkt in Leipzig haben, verfügen laut den Ermittlern über ein ausgeklügeltes und bestens funktionierendes Warnsystem. „Die kennen keine Ländergrenzen, bei uns aber scheitert die Bearbeitung oft genau an denselben“, klagt der Kommissar. Deshalb hat er zwischenzeitlich seine Kollegen in anderen Bundesländern besucht – zum Erfahrungsaustausch. Der kleine Dienstweg soll helfen, gegen die größte Tresorknackerszene, die es je in Deutschland gab, vorzugehen. Auf übergeordneter Ebene passiert nämlich so gut wie nichts. Unsere Umfrage beim Bundeskriminalamt (BKA), einigen Polizeipräsidien und Landeskriminalämtern (LKA) hat ergeben, daß zwar Meldungen über Tresoraufbrüche in den Zentralen auflaufen, aber mehr auch nicht. Klaus Bayerl vom bayerischen Landeskriminalamt erklärte: „Wir haben eine Steckkarte angelegt. Bearbeitet werden die Einbrüche aber von den zuständigen Direktionen.“ Ein BKA-Sprecher meinte nur, er habe schon im Bundeskriminalblatt darüber gelesen, aber für seine Behörde sei das offiziell kein Thema. Klaus Wittmann

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