Späte Aufarbeitung

■ Litauens Präsident verspricht Aufklärung von Kriegsverbrechen

Tel-Aviv (taz) – Der litauische Präsident Algirdas Brazauskas hat sich bei seinem Staatsbesuch in Israel für die Beteiligung von Litauern an den Verbrechen gegen litauische Juden während des Zweiten Weltkriegs entschuldigt.

Brazauskas versprach am Mittwoch in seiner Rede vor dem Parlament in Jerusalem, daß Kriegsverbrecher seines Landes öffentlich angeklagt und die Geschichte des Zweiten Weltkriegs wahrheitsgemäß dokumentiert werden sollen. Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin beschuldigte das heutige Litauen der Rehabilitierung von Kriegsverbrechern. Dieser Irrtum erfordere eine Neuüberprüfung und Neubewertung. Gleichzeitig wies Rabin aber auch auf die positive Entwicklung in den Beziehungen zwischen Israel und Litauen hin.

Auf einer anschließenden Pressekonferenz erklärte Präsident Brazauskas, daß nur die Staatsanwaltschaft und das oberste Gericht in Litauen entscheiden könnten, ob die 1990 erlassene pauschale Rehabilitation der vielen Litauer, die unter Verdacht stehen, jüdische Mitbürger in den Jahren des Holocaust ermordet zu haben, wieder rückgängig gemacht werden kann und soll. Holocaustüberlebende aus Litauen, die heute in Israel leben, weisen darauf hin, daß die Regierung Litauens 30.000 der eigenen Landsleute rehabilitiert hat, die von 1941 bis Ende 1944 auf das engste mit den Nazi-Okkupanten zusammengearbeitet hatten.

Angesichts der israelischen Kritik an der „Versöhnungspolitik“ der litauischen Behörden zeigte sich Präsident Brazauskas zur Bildung einer gemeinsamen israelisch-litauischen Kommission bereit, die jedoch auf rechtliche oder politische Entscheidungen letztlich keinen Einfluß hat.

Dov Levin, Litauenspezialist und Universitätsprofessor in Jerusalem, beklagte sich öffentlich darüber, daß Präsident Brazauskas die Gewohnheit habe, die Verbrechen von Litauern gegen Juden mit den russischen Verbrechen an seinen eigenen Landsleuten gleichzusetzen. Mit Hilfe dieser „symmetrischen“ Darstellung hoffe Brazauskas, die einflußreichen rechtsextremen Kreise seines Landes zu beschwichtigen. Das Rehabilitationsgesetz aus dem Jahr 1990 zugunsten von insgesamt 50.000 Litauern, die, wie es heißt, „wegen Widerstand gegen Okkupationsregime verfolgt waren“, ist dementsprechend „zweckrational ausgewogen“. Amos Wollin