Zeit zum Verduften

■ Wir fragten den Cloppenburg-Trendforscher Mat Horsag

taz: Was sind die Essentials, die für die Reise der Neunziger wirklich zählen?

Mat Horsag: Service wird großgeschrieben, Preise werden kleingedruckt. Und die Qualität ist ganz wichtig. Markenreisen zu günstigen Preisen haben immer Konjunktur. In Zeiten der Verschlankung von Kostenstrukturen geht der Trend ganz eindeutig zur Kurzreise im Minipreisbereich.

Wie finden Sie heraus, wo man/ frau heute hinfährt?

Meine Trend-Scouts sind überall, vor allem da, wo die Post abgeht. Ansonsten: Er-fahrung. Man muß das Spiel von Abfahrt und Ankunft verstanden haben. Ich versuche Reiseforschung mit Blick auf den Fahrplan. Die Trendforschung will die Reiseziele nicht berechenbar machen, sondern er- fahrbar.

Was macht eine Stadt zum Kurzreiseziel?

Wichtig ist die Kraft der positiven Schwingungen, der good vibes, wie der Angelsachse sagt, Paris hatte seine Zeit in den Fünfzigern, Swinging London in den Sechzigern, Waltzing Vienna in den Neunzigern.

Können Sie momentan irgendwelche Mega-Trends ausmachen?

Ganz sicher tot ist der Trip mit klar definierter Zielaussage. Dafür wieder schwer im Kommen die sogenannte Fahrt ins Blaue. In den zwanziger Jahren aufgetaucht, Anfang der vierziger der Reisetrend, dann in Vergessenheit geraten, heute wieder ausgepackt. Ein typischer Retro-Trend.

Werden wir in der Zukunft das Reisen in den Griff bekommen, oder wird es uns beherrschen?

Ein ewiger Kampf. Aber wir halten uns nicht schlecht dabei. Vor zehn Jahren dachten wir, die Kurzreise würde uns zu Sklaven der Reiseführer machen. In Wahrheit kam es zu einer friedlichen Vernetzung des globalen Dorfes.

Wie reist man/frau stilsicher?

Kreativer Reisemix, City-Hopping. Kein Mensch will mehr länger als ein paar Stunden in einer Stadt bleiben.

Und wie steht es mit der ökologischen Kurzreise?

Die Deutschen assoziieren Ökologie immer mit Natur und Einsamkeit. Aber ökologisch verantwortliches Reisen bedeutet auch, statt an die See lieber zur Erbtante in Gütersloh fahren.

Was kommt bei Verkehrsmitteln?

Kraft und Eigenbewegung. Vorbei die Zeiten des hemmungslosen Fahrens und Fahrenlassens. In den achtziger Jahren hatten wir das überzüchtete Reiserad mit 21 Gängen. Heute, im Dauerstau auf den Radwegen, bestimmt die Sehnsucht nach einem Kuschelrad die Form. Kleine, bunte Räder mit lustigen Klingeln, wenig Gänge.

Gibt es eine Stadt, die Sie im Hinblick auf die Trendiness besonders interessant finden?

Nach dem Boom der eher dekadenten Städte wie Prag oder Budapest steht heute die neue Nüchternheit auf dem Programm. Auf den ersten Blick nichtssagende Städte wie Leverkusen oder Paderborn faszinieren den Kurz- Tripper. Und wer definitiv wissen will, was mit der Menschheit wird, muß nach Cloppenburg gehen. Interview: Rüdiger Kind