Verschafft euch eure Emotionen!

Ein Gespräch mit Tilman Uhlig von Terranova-Touristik über das Firmenmotto „Emotional Reisen“  ■ Von Edith Kresta

taz: Was bedeutet für Sie als Veranstalter „Emotional Reisen“?

Tilman Uhlig: Reisen mit emotionalem Inhalt heißt, daß wir uns darauf spezialisieren, Reisen zu machen, bei denen emotionale Erfahrungen Bestandteil des geplanten Programmes sind. Konkret: Reisen ist an sich ein technischer Vorgang, bei dem es darum geht, von A nach B zu kommen mit einer Fluggesellschaft, mit Schiff oder Bahn. Man kann sich als Reiseveranstalter auf diese technische Dienstleistung beschränken. Wir hingegen gehen davon aus, daß die Technik die selbstverständliche Grundlage des Reisens ist. Wir bieten zu dieser Hardware die Software. Denn das Bedürfnis zu reisen entspringt emotionalen Bedürfnissen. Man reist, um etwas aufzusuchen, was ein bißchen den paradiesischen Wünschen entspricht, die ein jeder Mensch hat.

Hat man diese paradiesischen Bedürfnisse früher auf das Himmelreich projiziert und ist, um schließlich dort hinzugelangen, brav in die Kirche marschiert?

Ja. In die Kirche zu gehen ist sicherlich ein emotionales Bedürfnis. Der Pfarrer würde sagen, ein seelisches Defizit soll dadurch bewältigt werden. Und Reisen ist genauso wie in die Kirche gehen ein Bedürfnis aufgrund von Defiziten. Um diese zu kompensieren sucht man den Abstand zur Realität, den Abstand zum Alltag.

Sind die Reisebedürfnisse in erster Linie regressive Bedürfnisse?

Das hängt von der Strickart der Menschen ab. Es gibt tausend Variationen, die sich für den einzelnen mit paradiesischen Zuständen verbinden.

Wie schaffen Sie es als Reiseveranstalter, so vielfältige Bedürfnisse mit einem Programm abzudecken?

Wir können nur einen begrenzten Ausschnitt an Bedürfnissen emotional aufarbeiten. Die Palette, die wir bieten, ist begrenzt. Ein Marketingmensch würde sagen: zielgruppenorientierte Produktion.

Wer ist Ihre Zielgruppe?

Nach soziodemographischen Kriterien bewertet, ist sie vom Einkommen ziemlich weit oben, in der Regel Kopfarbeiter.

Wie befriedigen Sie emotionale Bedürfnisse?

Eine Reise bei uns ist wie die Dramaturgie eines Schauspiels. Das heißt, es muß eine These gesetzt werden, sie muß in den verschiedenen Akten verfolgt werden mit Höhepunkt und Entspannungsphasen, und am Ende kommt ein Finale, wo sich der schauspielerische dramaturgische Konflikt auflöst.

Von wem oder was grenzt sich Ihr Konzept ab?

Wir sind ein winzig kleiner Spezialveranstalter. Gemessen an den gigantischen Touristik-Konzernen, sind wir eine homöopathische Dosis auf dem Markt. Die Homöopathie in der Medizin ist unseren Reiseinhalten insofern ähnlich, weil sie die Seele, das Gesamte mit einbezieht. Diametral entgegengesetzt zu den großen Konzernen, die nur die Reisetechnik liefern.

Aber der Robinson-Club der TUI wirbt explizit mit „Zeit für Gefühle“.

Auch Robinson ist für die TUI eine homöopathische Dosis im Gesamtbild des Unternehmens. Mit dem Clubgedanken verfolgen auch einige Großunternehmen den Gedanken, den wir hier in unserem Kleinbetrieb verwirklichen. Das bestätigt ja nur, daß dieses Bedürfnis ein touristisches ist und daß es im Markt abgedeckt werden sollte.

Glauben Sie, daß im Tourismus allgemein der Trend zur ausdifferenzierten Reise geht?

Ja, davon bin ich überzeugt. Ich denke, die Krise der großen Reiseveranstalter, die ja ein bißchen verdeckt ist, hat damit zu tun, daß es den Menschen nicht mehr genügt, daß man sie irgendwohin verfrachtet und sagt, verschafft euch eure Emotionen selbst. Das kann der moderne Mensch zunehmend schlechter.

Warum?

Das ist ein Verlust an Fähigkeiten. Vielleicht hat es damit zu tun, daß wir degenerieren. Früher hatten wir in der Mitte der Tour einen Tag, an dem wir sagten, es könne jeder machen, was er will. Das lehnen unsere Gäste ab. Sie sagen, ich weiß nicht, was ich hier machen soll, der Reiseleiter soll uns sagen, was wir machen sollen. Die meisten Menschen können sich nichts mehr selber erobern, aus dem gravierenden Mangel heraus, daß sie nicht mehr wissen, was es überhaupt zu erobern gibt. Dann kommt das Bedürfnis nach Führung.