Das Buch zur Kritik

Hickethiers „Geschichte der Fernsehkritik in Deutschland“  ■ Von Harry Nutt

Bundespräsident von W. ließ es sich zu Amtszeiten nicht nehmen, ein ausgesuchtes Kinoereignis während der Filmfestspiele in vollem Gepränge zu begehen. Anschließend nach seiner Meinung befragt, übte er sich meist in präsidialer Zurückhaltung. Der neue Roman von Martin Walser und die performativen Obsessionen eines Peter Zadek bleiben in der Regel vom Geschmacksurteil anwesender Staatsmänner unbehelligt.

Doch wenn es um die eigene Glotze geht, rügen die Herren aus den vorderen Reihen völlig ungeniert und ungefragt. Als hätt' er's von M. R.-R. gelernt, geißelte Kanzler K. kürzlich eine „Monitor“-Satire als „Tiefpunkt der Geschmacklosigkeit“. Woher nimmt der Mann bloß so viel ästhetische Urteilskraft? Und wie muß es um das fernsehkritische Gewerbe stehen, wenn ein erzürnter Kanzler als dessen gewichtigster Repräsentant daherkommen kann?

Das Image der Fernsehkritik läßt zu wünschen übrig, meint auch der Berliner Medienwissenschaftler Knut Hickethier, doch das habe nicht immer nur mit der Qualität der Tele-Inspektionen zu tun. Fernsehkritik sei seit Jahren einer nahezu unveränderten Staffel von Pauschalverurteilungen ausgesetzt; Rehabilitation tut also not.

Mit beeindruckender Materialfülle führt Hickethier den Nachweis, daß bereits mit der Entwicklung des deutschen Fernsehens in den 30er Jahren eine ernstzunehmende Fernsehkritik entsteht. Knut Wagenführ und Gerhard Eckert verkörpern den Kritiker als „Kollaborateur“ der Fernsehmacher, der durch die Darstellung der Technik und das Erläutern von Produktionsproblemen den ideologischen Auftrag zumindest teilweise unterläuft. In den 50er Jahren gewinnt dann der „Wächter am Bildschirm“ an Bedeutung, der das Fernsehen unermüdlich zum Einhalten seines hehren Kulturauftrags mahnt. Die episodischen Experimente von Literaturgrößen wie Uwe Johnson sind ein weiterer Markstein der TV-Kritik auf dem Weg in die legitime Kultur. Indem Hickethier die äußerst vielfältige Kritikproduktion in den Zeitkontext einordnet und nach Stilen und Schreibweisen rubriziert, verleiht er der TV-Kritik Konturen einer veritablen Disziplin, die nicht hinter den klassischen Branchennachbarn zurückstehen muß. Das freut den Kritiker, daß sich endlich jemand seines Professionalitätsproblems annimmt.

Viele Wege führen zur ordentlichen Kritikgattung. Nach trotzigen Abstoßungsversuchen, über Respektlosigkeit und demonstratives Desinteresse fand schließlich sogar die taz zur täglichen Beschäftigung mit „Flimmern und Rauschen“. Welcher taz-Leser der mittleren Jahre erinnert sich nicht an die Zuckerschen Irritationen, in denen irgendwie auch das Fernsehen vorkam? Das freche, aber zugleich auch vorsichtige Heranpirschen ans Medium ist um so erstaunlicher, weil zur gleichen Zeit die Republik flächendeckend verkabelt wird und das Kommerzfernsehen sich etabliert. Die kokette Distanz zum Kulturprodukt minderer Güte war nicht zuletzt auch ein politischer Luxus. Hickethier verhält sich dazu als beschreibender Chronist, dem es mehr um die Konstituierung als um die Dekuvrierung seines Gegenstands geht. Spätestens hier wären sonst Anmerkungen darüber fällig gewesen, worin sich die Fernsehkritik von den Spartennachbarn unterscheidet.

Im Gegensatz zu Literatur- und Filmkritikern scheinen Fernsehkritiker eine schwache libidinöse Beziehung zum Medium zu unterhalten. Wird die pure Liebe zum Kino beim Filmkritiker vorausgesetzt, so ist der Abstand zum kleinen Fernsehbild schon räumlich angezeigt. Die Einstellung zum Medium hat sich mit der Geschichte des Fernsehens zwar gewandelt, ein inniges Verhältnis zwischen Kritiker und Produkt ist jedoch nicht entstanden. Das muß jedoch kein Nachteil sein.

Kleine Höhepunkte, das bestätigt auch der Textkorpus Hickethiers, feiert die Branche immer dann, wenn sie die perfekte Fernsehwelt bei einem Ungeschick ertappt. Schon 1958 frotzelte „Telemann“ Martin Morlock genüßlich im Spiegel: „In Werner Höfers erlauchter Frühschoppenklause sind die Diskuteure zusammengekommen, und keiner hat dem Telemann so leid getan wie Franz Josef Strauß, der dagesessen hat wie eine Tellermine, die explodieren möchte, aber nicht darf, weil es einen schlechten Eindruck machen würde. So hat er jedoch seine Persönlichkeit gar nicht recht entfalten können, sondern hat als bajuwarisches Querformat in seinem überfüllten Stuhl gehockt...“

Despektierlichkeit und Ironie gehören wohl auch zukünftig zum Handwerkszeug des Berufstelevisionisten. Letzteres trennt Kanzler K. dann doch von der Zunft, der er sich so schmissig andiente.

Knut Hickethier: „Geschichte der Fernsehkritik in Deutschland“. Edition Sigma; Rainer Bohn Verlag, Berlin 1994, 280 S., 39 DM