■ Liefert die Bundesregierung den Milliarden-Broker aus?
: Freiheit für Nick Leeson!

Er ist sympathisch, trägt Jeans, ein Rucksäckchen und hat sich mit 27 Milliarden Dollar verspekuliert. Nicht schlecht für sein Alter. Aber jetzt soll der britische Broker und Super-Yuppie Nick Leeson (28) in den Knast. Sein einziges Vergehen: Er hat die Fieberkurve des Nikkei-Index, nervöses Barometer des Tokioter Aktienmarkts, falsch eingeschätzt. Leeson hat auf Rot gesetzt, und die Kugel ist auf Schwarz gerollt. Dafür muß er bezahlen.

Seinen Irrtum teilt das windige Bürscherl mit der halben Finanzwelt. Alle spekulieren sie wie der Teufel auf Aktien, Optionen, Optionsoptionen, auf das Einknicken des Ölpreises, die Erholung des Dollars, auf neue Medikamente gegen Aids, eine saftige Orangenernte durch den Treibhauseffekt, eine gute Baukonjunktur dank des Erdbebens von Kobe. Und alle hauen sie daneben. Immer wieder. In jeder Börsensendung erzählen graumelierte Banker den größten Unfug, geben angesehene Finanzgenies tödliche Aktientips — und keiner sperrt sie ein.

Nur wenn's so gründlich schiefgeht wie bei Leeson, wenn der ganze Irrsinn des Kapitalismus pur in seiner vollen Pracht sichtbar wird, dann sollen plötzlich die Handschellen klicken. Das Bild einer zwar risikofreudigen, aber immer noch seriösen und kontrollierbaren Finanzwelt ist aufrechtzuerhalten. In dieses Bild paßt keine hochehrwürdige britische Bank, die einen kaum dem Milchschorf entwachsenen Bubi mit Milliarden spielen läßt wie Mama ihren Liebling mit Murmeln. Da muß dann der Börsenmakler schon ein kriminelles Subjekt sein, das hinter Schloß und Riegel zu befördern ist.

Doch der Kriminelle ist womöglich ein gesetzestreuer und arbeitsamer junger Mann. Es fällt auf, daß Großbritannien bislang keinen Auslieferungsantrag gestellt hat, mithin Leeson also gar nichts vorzuwerfen hat. Vieles deutet darauf hin, daß die Bank über die Börsenspiele ihres Jungstars durchaus unterrichtet war und sich auf dessen Nase verlassen hat. Wäre die Kugel tatsächlich auf Rot gerollt, Leeson wäre längst befördert worden und würde heute vor erlauchten Gesellschaften Vorträge über „Chancen und Risiken derivativer Finanz-Transaktionen in Phasen konjunktureller Erholung“ halten und von der Universität Cambridge einen Ehrendoktorhut aufgesetzt bekommen.

Aber der Junge hat Pech gehabt. Und wenn sie ihn schon nicht wegen grob fahrlässiger Fehleinschätzung des Nikkei-Index in einem besonders schweren Fall einsperren können, dann wenigstens wegen Paßvergehens. Auch Al Capone wurde schließlich wegen Steuerhinterziehung eingelocht. Manfred Kriener