piwik no script img

■ Im Metall-Konflikt ist eine Einigung schwerDie neue Unberechenbarkeit

So prominent möchte man auch mal sein: kaum hatte der bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer zum Telefonhörer gegriffen, um mit seinem Verhandlungsgegner Rainer Hildmann zu sprechen, ratterte es schon über die Agenturen: ein „erster telefonischer Kontakt“ zwischen den Tarifparteien sei wieder hergestellt. So als handele es sich hier um Kriegsgegner, deren kleinste Bewegung aufeinander zu vom Fußvolk mit Begeisterung aufgenommen werden muß. Ganz falsch: Der postmoderne Arbeitskampf, wie er sich im Metall-Konflikt zeigt, ist in Wirklichkeit von solcher Dramatik weit entfernt. Statt dessen läßt sich an diesem Arbeitskampf ein neuer Stil in der Klassenauseinandersetzung studieren: Weitgehend fehlen die Worte in martialischer Gewerkschaftssprache, statt dessen haben die gewerkschaftlichen Streikstrategen zur Steuerung des Arbeitskampfes eine neue Software entwickelt. Die Kostenrechnungen, mit denen sich die Tarifgegner konfrontieren, werden außerdem immer komplizierter. Alle haben dazugelernt – genau das aber macht den Tarifstreit nicht einfacher oder gar ritueller, wie viele vorher glaubten. Im Gegenteil, hier zeigt sich eine neue Unberechenbarkeit.

Bei den Verhandlungen ist eine Einigung noch weit. Zankapfel ist jetzt vor allem die geplante Einführung der 35-Stunden-Woche. Bei einer Lohnerhöhung von nominal beispielsweise 3,3 Prozent errechnen sich manche Arbeitgeber aufgrund der zusätzlichen Arbeitszeitverkürzung eine tatsächliche Kostensteigerung von fünf bis sechs Prozent. Eine Verschiebung der 35-Stunden-Woche um einige Monate könnte die Kosten zwar mindern, aber eben nur kurzfristig. Bleibt noch die Möglichkeit, für den Tarifvertrag eine arbeitgeberfreundliche lange Laufzeit zu vereinbaren.

Nicht nur sind die Tarifverhandlungen komplexer als der Streit um eine simple Prozentzahl, auch der Arbeitskampf selbst verläuft anders, als der Begriff vermuten ließe. Chefs wärmen sich gemeinsam mit ihren Beschäftigten am traditionellen Öltonnen-Feuerchen. Über ein eigens entwickeltes „Computer aided strike system in Bayern“ (Cassib) hat die IG Metall herausgefiltert, welche Unternehmen sich besonders für einen Streik eignen. Für drei Ingolstädter Betriebe hat die IG Metall den Streik sogar vorsorglich bis zum Montag befristet.

Aber es handelt sich eben nicht um einen „Arbeitskampf light“, in dem alles unter Kontrolle ist – gut möglich, daß in der nächsten Woche tatsächlich Aussperrungen und die nächste Streikwelle beginnen. Dann nämlich, wenn die filigranen Tarifrechnungen der Verhandlungsgegner immer noch nicht aufgehen. Zum postmodernen Arbeitskampf gehört eine neue Unberechenbarkeit. Und das ist doch eigentlich ganz gut. Barbara Dribbusch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen