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Bastionen guten Geschmacks

Auf der „bio Fach 95“, der Fachmesse für Naturkost und Naturwaren, ist vor allem der zahlungskräftige Mittelstand angesprochen  ■ Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt

Die Firma Zwergenwiese Naturkost GmbH aus Hollingstedt, Hersteller von würzigen Pasten aus kontrolliert biologischem Gemüseanbau, hatte ihre Mitarbeiterinnen in lächerliche Zwergenkostüme gezwungen. Mit roten Zipfelmützen auf den Köpfen und grünen Schürzen um die Hüften mußten die armen Geschöpfe mit winzigen Spachteln Paste auf winzige Vollkornbrotstücke schmieren und dabei die defilierenden „Ladner“, wie Bioladenbesitzer im Fachjargon heißen, und Zwischenhändler noch (gewinnbringend) anlächeln.

Die Zwerge von Zwergenwiese waren aber die Ausnahme auf der bio Fach 1995, der Weltfachmesse für Naturkost und Naturwaren in Frankfurt am Main, die am Donnerstag eröffnet wurde und noch bis einschließlich Sonntag ausschließlich für FachbesucherInnen geöffnet bleibt. Die Messestände sind nicht mehr ausschließlich aus Naturholz geschnitzt, die Bespannungen an den Wänden nicht mehr nur selbstgehäkelt.

Verfechter reiner Lehre auf verlorenem Posten

Die Branche gleicht sich im Outfit ihrer zahlungskräftigen Kundschaft aus dem gehobenen Mittelstand an. Denn nur dort kann man es sich leisten, etwa für ein halbes Pfund Butter statt 1,99 Mark im Supermarkt 4,20 Mark (Thiese Mejeri/DK) beim „Ladner“ um die Ecke zu bezahlen.

Gute Geschäfte nicht nur mit den „Ladnern“, sondern auch mit Gastronomen vermeldeten schon zwei Stunden nach Eröffnung etwa die Erzeuger und die Direktimporteure erlesener Weine aus Frankreich und Italien. Überhaupt sind die Länder, die auch bei den Gourmets in Deutschland als Bastionen des guten Geschmacks gelten, auf der bio Fach 95 massiv vertreten: Kooperativen und Privatfirmen vor allem aus Frankreich, Italien und Spanien bieten ausgezeichnete Weine und Molkereiprodukte an. Und ein Frauentyp, der genausogut Parfüme von Gabriella Sabatini oder Laura Biagiotti verkaufen könnte, lockt die braven „Ladner“ in Scharen an die Messestände. Dagegen standen die Verfechter der reinen Lehre etwas verloren in ihren „Blockhütten“. Schlechte Karten für die HändlerInnen, die ihren Kunden neben Pasten aus Tofu oder Saatgut für Bohnenkeimlinge auch gleich noch ein bißchen Esoterik oder „Gesundbeterei“ mit in die Tüte packen wollen.

Der Veranstalter der bio Fach 95, die Agentur Sunder und Rottner in Roth, trägt mit Diskussionsforen wie „Gemüse gegen Krebs“ oder „Religion und Naturkost“ allerdings auch den offenbar immer noch vorhandenen ideologischen Bedürfnissen der Branche Rechnung.

Weniger Ideologie, dafür aber viel Euphorie hatten die Ausrichter des Sonderkongresses „Bio Rohstoff Hanf“ auf der bio Fach 95 im Angebot. „Hanfpapst“ Mathias Bröckers von der Deutschen Hanfgesellschaft (DHG) trat mit Hanfkappe, -hose und -schlips vors Publikum und stimmte zum Amüsement der TeilnehmerInnen der wissenschaftlich-technischen Konferenz auf der Eröffnungsveranstaltung ein Loblied auf den „nachwachsenden Rohstoff Hanf“ an.

Daß auch der Deutsche Bauernverband (DBV) inzwischen die Aufhebung des seit 1981 geltenden Verbots der Anpflanzung von Hanf in Deutschland fordert, war ein erstes Erfolgserlebnis für die KongreßteilnehmerInnen aus aller Welt und für die DHG. Und Bröckers ist sich sicher, daß das „unsinnige Hanfverbot“ spätestens 1996 – bei Respektierung der europäischen Gesetzgebung – fallen werde. Im Foyer der Halle IV konnten Interessierte unter den dort präsentierten Messeneuheiten bereits Wanderstiefel und Hemden aus Hanf bewundern. Und in einer Sonderausstellung gibt es Hanf satt zu sehen: Speiseöl aus Hanf, Papier aus Hanf, Dämmstoffe aus Hanf. „Hanf – der Rohstoff mit dem frechen Image“ („bio Fach-Magazin“).

Großanbieter drängen auf den Ökomarkt

Das Wachstum in der gesamten Branche gehe „ungebremst“ weiter, wie die Veranstalter der bio Fach 95 mitteilten. Alleine auf der Erzeugerseite werden 1995 weitere 8.200 Betriebe des ökologischen Landbaus, die sich bislang noch in der Umstellungsphase befanden, in die Großfamilien Bioland, Demeter, Naturland und BNN (Bundesverband Naturkost u. Naturwaren) aufgenommen. Durch die im Vergleich zur alten deutschen Regelung laschen EU- Bestimmungen haben allerdings auch Großanbieter auf dem Nahrungsmittelsektor wie etwa Hipp oder Milupa Zugang zu einem zuvor für sie verschlossenen Markt gefunden. Das drückt auf die Preise – und drückt „Ladner“ und Erzeuger.

Um sich weitere Käuferschichten erschließen zu können, bietet die Branche inzwischen immer mehr vorproduzierte und fertige Lebensmittel an. Das soll die Generation der Singles in die Naturkostläden locken. Tiefkühlkost werde der Renner der Saison, mutmaßt etwa das „bio Fach-Magazin“.

Und auf der diesjährigen Frankfurter bio Fach wurde etwa ein Papiertüten-Kartoffelpüree à la Pfanni als „Messeneuheit“ gefeiert. Die Kartoffelflocken in der Tüte stammten selbstverständlich aus verbandskontrollierten Kartoffeln aus biologischem Anbau. Noch immer allerdings liegt der Anteil von Naturkost im gesamten Lebensmittelbereich in Deutschland unter fünf Prozent. Um diesen Marktanteil balgen sich auf der bio Fach mehr als fünfhundert Erzeuger und Zwischenhändler aus (fast) aller Welt: von A wie Arrowhead Mills aus Kanada bis Z wie Zwergenwiese von hinterm Deich.

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