■ Die neueste EU-Farce: Nur weil die Briten seit eh und je ominöse Ersatzstoffe in ihre Schokolade rühren, verlangen sie, daß alle anderen EU-Produzenten das auch dürfen. Sie nennen es "Liberalisierungspfad"...
: Rettet unsere Schokolade!

Die neueste EU-Farce: Nur weil die Briten seit eh und je ominöse Ersatzstoffe in ihre Schokolade rühren, verlangen sie, daß alle anderen EU-Produzenten das auch dürfen. Sie nennen es „Liberalisierungspfad“. Die Afrikaner sind auch dagegen.

Rettet unsere Schokolade!

Die gute Schokolade ist in Gefahr. Jahrelang schmorte das Schokodossier in einer Brüsseler Schublade, jetzt haben die Kommissare klammheimlich einen ihrer Beamten dazu verdonnert, die fettigen Wünsche der Schokoladenlobby wieder aufzugreifen und in einen Gesetzentwurf einzurühren. Der Europäischen Vereinigung der Schokoladen- und Kekshersteller „Caobisco“ schmeckt die alte EG-Richtlinie aus dem Jahre 1973 nicht mehr, nach der Schokolade nur aus Kakao, Kakaobutter, Zucker und Milch gemacht werden darf. Seit Jahren läßt sie deshalb ihre Emissäre in Brüssel antichambrieren. Caobisco möchte für ihre Klientel endlich die Erlaubnis bekommen, in die Osterhasen auch ein bißchen Palmin oder andere billige Pflanzenfette einzukochen.

Vor allem die britischen Schokoladenmeister, nicht eben berühmt für Geschmack, drängen. Auf der Insel sowie bei ihren irischen und dänischen Nachbarn ist längst erlaubt, was in der übrigen EU verpönt ist: Kakaobutter teilweise durch andere Fette zu ersetzen. Die drei Länder waren noch nicht Mitglied im europäischen Club, als das einheitliche Schokorezept festgelegt wurde. Jetzt möchten sie ihre schokoladeähnlichen Erzeugnisse auch bei uns loswerden und pochen auf den Grundsatz der Gleichbehandlung. Denn ob Himbeersirup, Gurkensalat oder Waschmaschinen, bei fast allen Produkten hat sich die EU inzwischen darauf geeinigt, daß auf den Markt gebracht werden darf, was der Gesundheit nicht schadet. Und Schokolade aus Kokosfett strapaziert nur die Geschmacksnerven.

Gerade weil die Schokolade bisher von dieser Regel verschont blieb, ist sie ein schönes Beispiel dafür, wie der Verbraucherschutz in der Europäischen Union in den letzten Jahren untergebuttert wurde. Ihren Ausnahmestatus verdanken die Kakaoriegel weniger dem Widerstand der Verbraucherverbände – den gibt es, aber der hat auch bei Wurst und Bier nichts geholfen. Viel entscheidender ist das Bemühen der französischen Regierung, den 31 kakaoproduzierenden Ländern in Afrika den Markt zu erhalten. Mit diesen Staaten, meist ehemaligen Kolonien Frankreichs, unterhält die EU bevorzugte Handelsbeziehungen. Vor wenigen Tagen hat der für Entwicklungshilfe zuständige EU- Kommissar João de Deus Pinheiro die afrikanischen Regierungen bei einem Besuch in Dakar noch einmal beruhigt, daß er sich jeder Lockerung der Schokoladengesetze widersetzen werde.

Die Richtlinie stammt noch aus den Zeiten, in denen die EG-Mitglieder versuchten, den Verbraucherschutz hochzuhalten und gleichzeitig den Handel innerhalb der Gemeinschaft mit einheitlichen Produktstandards anzukurbeln. Harmonisierungspfad heißt das im Eurokraten-Slang. Wenn überall die gleichen Mindestnormen gelten, gibt es keine Rechtsgrundlage mehr, Importe aus den Partnerländern zu behindern. Die Harmonisierungs-Verhandlungen dauerten bloß immer ziemlich lange, weil die einen ihren Verbraucherschutz nicht aufgeben wollten und die anderen fürchteten, ihre Industrie könnte den höheren Ansprüchen nicht gewachsen sein.

Aber dann kam der neue Kommissionspräsident Jacques Delors und brachte sein Projekt vom einheitlichen Binnenmarkt mit. Das war im Juni 1985. Weil es ihm auf dem Harmonisierungspfad zu langsam voranging, schlug Delors den sogenannten Liberalisierungspfad ein. Das Prinzip ist einfach: Jedes Produkt, das in einem der Mitgliedsländer zugelassen ist, darf auch in allen anderen EU- Staaten auf den Markt gebracht werden. Ausnahmen sind nur möglich, wenn es um die Gesundheit geht, wie zum Beispiel beim schwedischen Kautabak „Snus“, von dem die französische Regierung überzeugt ist, daß er neben braunen Zähnen auch in den Innereien allerhand anrichten kann. Der „Snus“, ohne den die Schweden auf keinen Fall in die EU eintreten wollten, darf deshalb nur nördlich des Skagerrak verkauft werden. Der Liberalisierungspfad hat sich als wahre Rennstrecke herausgestellt, auf der vor allem der Verbraucherschutz unter die Räder gekommen ist. Bekanntestes Opfer ist das deutsche Reinheitsgebot fürs Bier, das unter uns gesagt gar nicht so rein ist, weil die Brauereien einiges an Chemie, die sie nicht ins Bier kippen dürfen, vorher Hopfen und Gerste mitgeben. Trotzdem, in anderen Ländern darf das Bier mehr Zusatzstoffe haben, und dieses Bier muß auch bei uns verkauft werden dürfen. Die Deutschen können für ihre Brauereien am Reinheitsgebot festhalten, hat der Europäische Gerichtshof entschieden, aber sie dürfen belgisches oder britisches Gebräu nicht von deutschen Stammtischen aussperren.

Der europäische Verbraucherschutz erschöpft sich seither im wesentlichen in der Kennzeichnungspflicht: Es muß draufstehen, was drin ist, und dann kann der Verbraucher selbst entscheiden, ob er sich das antun will. Aber selbst bei dieser Minimallösung finden die Kommissare und die nationalen Regierungen immer wieder genügend Möglichkeiten zum Streiten.

Bei der Schokolade, bei der Marmelade, bei Fruchtsäften oder Honig spielt das zum Glück noch keine Rolle – vorerst jedenfalls nicht. Insgesamt gibt es noch sieben alte EG-Richtlinien, die nach wie vor gültig sind: Im Honig darf nur Honig, im Fruchsaft nur Fruchtsaft sein, basta. Vor einigen Jahren, als Portugal in die Europäische Gemeinschaft eintrat, tauchte das Problem auf, daß es in Portugal eine große Tradition gibt, Marmelade aus Karotten zu machen. Irgend jemand in der Europäischen Kommission kam damals auf die überraschende Idee, Karotten in die Gattung Obst aufzunehmen. Seitdem wird das Wurzelgewächs in der EU zum Obst gerechnet, und die Portugiesen dürfen weiter ihre Karottenmarmelade schlecken.

Mit der Schokolade ist das nicht so leicht zu machen. Kokosfett läßt sich nicht zu Kakaobutter erklären. Caobisco hält die Diskussion für überzogen. Es gehe ja nicht darum, den Kakao aus der Schokolade zu verbannen. In der Tat soll nur der Anteil der Kakaobutter von 30 auf 25 Prozent reduziert und mit anderen Planzenfetten aufgefüllt werden. Britische Zungen sollen da noch nie einen Unterschied bemerkt haben.

Verbraucherschützer halten dagegen, daß eine solche Verunreinigung schlicht nicht nötig sei. Und die afrikanischen Länder, in vorderster Linie Kamerun und die Elfenbeinküste, fürchten, daß ein Abschmelzen der Kakaobutternachfrage um fünf Prozent den Markt aus dem Gleichgewicht bringen könnte. Selbst wenn die Preise wider Erwarten stabil blieben, müßten die Kakaoexporteure Einbußen von 500 bis 600 Millionen Mark hinnehmen. Ein Einwand, der die Regierung in London auf die Palme bringt. Großbritannien beziehe sein Pflanzenfett schließlich auch aus Entwicklungsländern, vor allem aus den ehemaligen britischen Kolonien, wo statt Kakaobutter eben Palmfett produziert wird.

Noch druckst die Europäische Kommission herum. Aber sie kann nicht anders. Die Regierungen der Mitgliedsländer haben nun mal 1992 unter britischem Einfluß beschlossen, die Schokorichtlinie aufzulockern. Die Kommission ist nun gehalten, einen Vorschlag auszuarbeiten. Das letzte Wort zur Schokolade haben die 15 Wirtschaftsminister. Alois Berger, Brüssel