Der dezent abgesetzte Totenkopf

■ Auf dem „Metal-Market“ trafen sich Tod, Verderben und ein paar Briefmarkensammler

Ganz in der Nähe läuten Glocken. Die Hemelinger Kirche kehrt die Gottesdienstler aus. War es die reine Bosheit, die Dido den Termin für seinen jährlichen „Metal-Market“ auf den Sonntagvormittag legen ließ? Um die Gläubigen vom Kirchgang abzuhalten, sie umzulenken in die Satansmesse? Wo es, keine Frage, schwefelt, dampft und zischt; wo die Gottlosen mit blutverschmierten T-Shirts ihren Kultfiguren huldigen, die da heißen: Napalm Death, Omen und Bad (!) Religion?

„Ich bin schon ein ziemlicher Fanatiker“, strahlt Arno. Guckt er nicht ein bißchen irre? Tropft nicht ein wenig Blut aus den Lefzen des Metalfans? Nein, keine Spur. „Alles Klischees“, sagt er. Aber Klischees, die er liebt: die Totenschädel, teuflisch grinsend; die drallen Amazonen im knappen Lederwams; die Ketten, Schwerter, Äxte, kurz: der ganze spätviktorianische Schauderkram – „der gehört nun mal dazu“, assistiert Kumpel Norbert. Und so überziehen die Klischees den gesamten Saal im Hemelinger „Tivoli“, ergießen sich vom Plattencover über Poster, Anstecknadeln und Hologramme bis auf die T-Shirts-Brust, wo die Embleme der jeweils favorisierten Kombo gleich einem Glaubenszeugnis prangen.

Um das zu erleben, haben Arno und Norbert einen langen Weg in Kauf genommen. Aus Stuttgart bzw. Limburg sind sie zur Bremer Messe gepilgert. Man kennt sich in der Gemeinde. „Eine so hilfsbereitschafte Szene“, fragt Arno, „wo gibt's das sonst noch?“ Zwar ist auch eine Menge sporadisch Interessierter da: Kleinfamilien – Papi trägt einen dezent abgesetzten „Sodom“-Schädel auf dem Pulli, wo andere ihr Markenkrokodil zeigen; aber auch viel Nachwuchs, der „nur mal so gucken“ will und „eigentlich alles“ hört. Milde nickt der Arno. Jaja, die Jugend. „Mit so Kopfsogge un' Karohemde an“, spricht der Hesse. Er hingegen, überzeugter Jeanswestenträger seit anno AC/DC, wisse mit seinen 27 Jahren eben genau, was er „für Mussick“ wolle: „Power-Metal aus den USA“, möglichst aus den 80ern, möglichst rare Platten – und möglichst keine CDs – „da paßt doch nichts aufs Cover drauf.“

Also: Wer hilft dem Arno mal; wo gibt's noch Demotapes von „Venom“, seiner einstigen Lieblingskombo? Wer hat evtl. Rares von „Leagelord“? Und wer kauft Norbert sein Topangebot ab: „Tales of Terror“ von Hallows Eve, mit dem handgemalten Aufkleber: „Kult!! 18,90 Mark“?

Metalfans „sind eben sehr beschlagen“, sagt Dido. Er veranstaltet den Rummel. Seit drei Jahren zieht der Holländer die Truppen der Metallerszene zusammen. In Benelux und Deutschland tourt sein Wanderzirkus, mit andauerndem Erfolg, sagt er. „Für alles gibt es Plattenbörsen“; Jazzliebhaber oder Freunde der Sixties würden seit Jahren gut bedient. Die Idee, nun auch den getreuen Metalfans ihr Spezialfutter feilzubieten, nimmt Dido für sich in Anspruch. Aus halb Europa kämen nun Händler und Fans zusammen, um auf dem „Metal Market“ ihren Kult zu feiern. Und das seien, trotz der finsteren Maskerade, „alles ganz friedliche Leute“.

Postbeamte wie Arno, Elektrofachverkäufer wie Norbert. „Ein bißchen sind wir wie Briefmarkensammler“, grinst letzterer. Über die Vorstellung konservativer Kulturschützer, auf Metalplatten würden verschlüsselte Satansbotschaften verbreitet, kann er nur schmunzeln. Nein: Die qualmenden Klischees finden hier nur auf dem Plattencover statt. Tätowierte Oberarme und martialische Dauerwellen sind auf dem Metalmarkt Mangelware. Arno hat sich sein Lieblingscover auf die Brust schmelzen lassen, bzw. immerhin aufs T-Shirt: eine Phantasmorgie von einem Leichenzug, bekrönt von dem messerscharfen „Omen“-Schriftzug.

Ja, Omen! Das war noch Power-Metal! Da beginnen Arnos unschuldig blaue Äuglein auf einmal doch zu glühen! Da schaut er wild um sich – der nächste Plattenstand muß niedergemacht sein, bevor ihm jemand sein Schnäppchen wergschnappt. Die Kirchenglocken haben noch nicht ausgeheult, da sieht man Arno säckeweise Altmetall aus dem Saale schleppen, so 50 Platten werden es am Ende sein – frisches Blut, bevor der Postdienst wieder ruft. Thomas Wolff