SPD-intern: „Wir treffen uns am 14. Mai“

■ Plant die SPD was bis 2000? Gegen das gedankenlose „Weiter so“ wettern Wolfram Kaiser und Gerwin Möller

„Den Wechsel schaffen, nicht weniger hatte man sich für das Superwahljahr 1994 vorgenommen. Die Sozialdemokraten sind um eine Niederlage reicher geworden – auch um eine Erfahrung?“ So beginnt ein SPD-internes Papier von zwei jüngeren Aktiven, dem Ortsvereinsvorsitzenden Westend Wolfram Kaiser und Unterbezirksdelegierten Gerwin Möller (OV Grollland).

„Hat die SPD von der Wahl 91 gelernt?“ fragen die beiden provozierend. Damals hatte die SPD nach einer auf die Person Wedemeiers bezogenen Kampagne 12 Prozent der Stimmen verloren und war aus ihrer komfortablen absoluten Mehrheit unter die 40-Prozent-Marke abgerutscht. „Das innerparteiliche Scherbengericht fand anstelle des angekündigten Reformprozesses in Kommissionen statt. Jeder konnte sagen, was er wollte, der Kompromiß lautet: auf wirkliche Änderungen wird verzichtet.“

Da die SPD mit 40 Prozent weiterregieren wollte, hätte sie sich eigentlich entscheiden müssen: Korrektur zur Mitte hin in Richtung auf die CDU oder rotgrüne Perspektive? Dahinter steckt nicht nur eine Koalitions-Taktik, sondern eine programmatische Festlegung, die langfristig Rückwirkungen auf die Mitgliederstruktur haben kann. Kaiser/Möller: „Die Wähler zeigten 1991 trotz ,lieber Klaus' der SPD die gelbe Karte – sie wurde beinahe des Rathauses verwiesen. Die SPD versprach sich zu ändern. Daraus wurde nichts.“

Die SPD interpretierte die Ampel-Koalition so, daß sie sich nicht entscheiden mußte - und überließ es den beiden kleinen Partnern, um das Profil zu streiten. „Inhaltliche Veränderungen sind in der SPD nicht gefragt. Lieber wurden in der SPD diejenigen gewählt, die versprechen nett zu sein – zur Umwelt, zum ÖPNV und zu Klaus (manchmal). Wer in der SPD was werden will, hat den Mund zu halten.“

Die SPD verlor die Alten rechts...

Das Wegducken nützte der SPD aber wenig. „Die vor allem aus den Gewerkschaften kommenden SPD-Vertreter wurden mehr und mehr durch aus der Achtundsechziger-Bewegung geprägte Intellektuelle und Angestellte abgelöst.“

„Für die Vertreter aus dem alten Gewerkschaftsflügel wie Hans Koschnick blieb kein Platz mehr“ - als Koschnicks mitten in der Legislaturperiode 1985 sein Amt niederlegte, mußte es erst Gedankenspiele für eine Bundestagskandidatur in Leverkusen geben, bevor in Bremen für Koschnick ein Platz freigemacht wurde - SPD-MdB Ludwig Hettling verzichtete „freiwillig“ auf seinen sicheren Wahlkreis. Auch andere der Alten wurden abserviert. „Mit der Rache einer Altherrenriege rechnete niemand. ,Exilsenatoren' und Fraktions-U-Boote wurden als Randerscheinung gesehen, das Treiben in einer an sich schönen Bremer Innenstadtgaststätte tat man ab als politischen ,Jurassic-Parc'. In der Partei pflegte man gleichzeitig die swingenden Senioren innerhalb einer Arbeitsgemeinschaft und verabreichte Butterkuchen bei Tanz zu günstigen Konditionen.“

Nicht zufällig tauchen die „Beleidigten“ wie Hettling jetzt in der Konkurrenz von „Arbeit für Bremen“ auf. „Die Renitenz der jungen Alten unterschätzend, verliert man nun trotz aller Tanzmusik erneut eine Wählergruppe, wenn die Silberlocken ihre Seniorenvertretung im Sparkassenvorsteher sehen.“

... und die jungen an die Grünen

„Zusätzlich zum Verlust der Rechten und vor allem ihrer Exponenten in die AfB droht nun der Verlust der Wähler unter 40 Jahren“ - als Mitglieder hat die SPD sie längst verloren, weil sie „sich gleichzeitig gegen den aktivsten Teil der Bewegung abgeschottet“ hat – „diese fanden ihren Weg später zu den Grünen.“ „Die SPD teilt sich mit Nölle/Neumann die Stimmen der 40- bis 55-jährigen“ - die Grünen, die in Bremen als SPD-Abspaltung 1978 entstanden und hier 1979 bundesweit erstmals in ein Landesparlament einzogen, „sind in mehr Parlamenten vertreten und nicht mehr aus der politischen Landschaft der Bundesrepublik fortzudenken.“

Es mangelt in der SPD an Kopf

Dies ist der politische Hintergrund, vor dem die rapide schwindenden Mitgliederzahlen -. von 17.000 Sozialdemokraten in Bremen sind gerade 10.000 in der Partei geblieben - erst ihren Sinn ergeben. Und während die neue Bonner PR-Agentur für den Wahlkampf den führenden Kopf der SPD, Wedemeier, mit dem Stichwort „Kompetenz“ herausstellen will und ihn in die Bürgermeister-Tradition Kaisen/Koschnick einrückt, fordern Kaiser/Möller eine neue Potitik: „Nicht die Nacherzählung vergangener Politik ist notwendig, sondern die Entwicklung von tragfähigen Zukunftsmodellen. Da mangelt es der SPD sowohl an neuen Köpfen als auch an glaubwürdigen Programmen.“

Zum Beispiel das Sanierungsprogramm. Ersetzt es eine sozialdemokratische Programmatik? „Ein Anwachsen der Staatsausgaben um 3 Prozent bringt keinerlei Ersparnisse. Auch Schuldenabbau wird gemeinhin nicht mit dem Wort Sparen übersetzt. Jede Mark, die heute als Kredit aufgenommen wird, muß von kommenden Generationen getilgt werden.“

Die Industriepolitik steht im Zentrum der Kritik. „Das Erschliessen neuer Industrieansiedlungsflächen ,auf der grünen Wiese' ist politisch phantasielos“, schreiben Kaiser/Möller. Der Technologiepark Universität verkommt zu einem „Luxusgewerbegebiet für Büromaschinenhändler“. Die „Space-Park-Euphorie in Bremen ist ein deutliches Zeichen naiver Apollo-Raumfahrtgroßtechnologie der Siebziger Jahre.“ Es „fehlen Richtungspunkte in der Wirtschaftpolitik“, eine „Zukunftspolitik muß eine Neubeschreibung sozialer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ziele“ beinhalten“.

„Bremen ist ausreichend zubetoniert, um Gewerbeansiedlung auf bereits erschlossenen Gebieten betreiben zu können. Bremen als selbständiges Bundesland kann nicht selbstherrlich eine flächenfressende Politik fortsetzen, die zudem die Probleme der Region nicht berücksichtigt. Die Sanierung des Stadtstaates ohne den Blick über den Tellerrand des eigenen Bezirkes ist konservativ und borniert.“ Aber was „gemeinsame Landesplanung“ heißt, „verdient den Namen nicht“. Dabei liegen sowohl das hochmoderne Güterverkehrszentrum wie auch der Flughafen direkt an der Landesgrenze - eine Einbeziehung Niedersachsens gibt es nur vor den Verwaltungsgerichten. Schon für „eine vernünftige Regionalisierung des ÖPNV über die VBN hinaus steht die Landesgrenze im Wege.“

Eine „Projektentwicklungsgesellschaft Nordwest“ muß die engen Grenzen des Stadtstaates sprengen: „Die Sanierung Bremen und die Konsolidierung seiner Finanzen kann vorwärtsgewandt nicht im Alleingang bewältigt werden. Das selbständige Gemeinwesen kann seine Existenzberechtigung nur im Bündnis mit dem Umland rechtfertigen. Das Aufrechterhalten Bremens als unabhängige Trutzburg im Niedersächsischen wäre konservativ.“

Welche Wahl haben die Wähler bei der Sanierung Bremens?

„Will die SPD mit der bremischen Stimme ein Gegengewicht zur Bonner Koalition bilden und über den Bundesrat gegezusteuern versuchen, muß sie vor dem 14. Mai 95 ein realistisches Szenario für eine Mehrheitsfindung in der Bürgerschaft formulieren. Für uns bedeutet dies ein Bekenntnis zu einem rot-grünen Reformbündnis. Die Bürgerschaftswahlen sind ein Volksentscheid über das „Wie“ der Verwirklichung des Sanierungsprogramms für Bremen.“

Bremen, im März 1995