Berliner Tagebuch
: Todesurteile

■ Berlin vor der Befreiung: 6. März 1945

Foto: J. Chaldej/Voller Ernst

An der Ecke Kurfürstendamm und Joachimstaler Straße neben der Konditorei Kranzler gibt es eine öffentliche Anschlagsfläche für Zimmersuchende und Leute, die etwas zu tauschen haben, Sprachlehrer, Masseusen usw. Seit kurzem „inseriert“ hier auch der neue Kommandant von Berlin, Generalleutnant von Hauenschild. Unter Berufung auf einen Befehl des Führers vom 17. Februar 1945 gibt er die Vollstreckung eines Todesurteils gegen einen desertierten Offizier und drei Soldaten bekannt, die sich falscher Papiere bedient hatten. Die Proklamation schließt: „Diese Urteile sind auch im Namen derjenigen Frauen gesprochen, deren Männer, Brüder und Söhne ihre Heimat anständig verteidigen.“

Heute nachmittag wurden wir bei Antritt des Luftschutzdienstes im Auswärtigen Amt von Wenmakers mit Vorfällen bekannt gemacht, die sich am 26. Februar zutrugen. Am Abend dieses Tages, an dem ein Angriff stattgefunden hatte, soll der Teil des Auswärtigen Amtes, der an den Garten der Reichskanzlei grenzt, nicht vollständig verdunkelt gewesen sein. Der Führer, dem dies gemeldet wurde, erteilte einer SS- Wache Befehl, die brennenden Lampen durch Gewehrschüsse zu löschen. Am folgenden Abend wiederholte sich der gleiche Vorfall, worauf der Führer bemerkte, dem Auswärtigen Amt scheine wenig an seinem Leben zu liegen. Der RAM ordnete daraufhin an, daß in sämtlichen Zimmern, die dem Garten der Reichskanzlei zugewandt liegen, die elektrischen Birnen entfernt werden. Trotzdem brannte in einigen Zimmern abends wieder Licht. Der RAM hat eine strenge Untersuchung angeordnet. Hans Georg von Studnitz

Aus: „Als Berlin brannte“, Lübbe Verlag, 1985. Von Studnitz, geb. 1907, rechtskonservativer Journalist, 1940–45 Referent der Presseabteilung im Auswärtigen Amt, 1945 7 Monate Haft, später Lufthansa-Pressechef.

Recherche: Jürgen Karwelat