Den Überlebenswillen Sarajevos stärken

Nach Gesprächen in der bosnischen Hauptstadt und Zagreb will die Bundestagsfraktion der Bündnisgrüne heute in Bonn Vorschläge zur deutschen Bosnienpolitik machen  ■ Aus Sarajevo Andreas Zumach

„Danke, daß die erste Auslandsreise ihrer Fraktion in einer Zeit nach Sarajevo geführt hat, da immer mehr Menschen unsere Stadt schon abgeschrieben haben.“ Am Ende ihrer intensiven, tabulosen Diskussion mit den PolitikerInnen von Bündnis 90/Grüne sind die Führungsoffiziere im Hauptquartier des ersten Korps der bosnischen Regierungsarmee sichtlich bewegt. Aber auch die – nach Erfahrungen mit Bundeswehr und Nato – eher militärkritischen Abgeordneten Angelika Beer, Gerd Poppe, Helmut Lippelt sowie Fraktionsmitarbeiter Uli Fischer sind beeindruckt von dem völlig unmartialischen Auftreten und dem Vokabular der beiden Offiziere, deren Korps Sarajevo und Umgebung zu verteidigen hat.

Der eine ist seit 20 Jahren Berufssoldat, ursprünglich bei der Jugoslawischen Volksarmee in Belgrad; der andere ein Literat, der nach dem Angriff der bosnischen Serben auf Sarajevo am 6. April 92 „gezogen“ wurde. Statt Kampfeslust und Siegeszuversicht prägen Zweifel und Sorgen über künftige Zivilopfer ihre Erläuterungen der Lage. „Wir wären überglücklich, wenn es nicht zu einem erneuten Krieg mit den Pale-Serben kommt“, betont der Berufssoldat.

Für Bosnien wie für Kroatien könnte diese Hoffnung beinahe irrational erscheinen, hielte man sich lediglich an die Analysen, die die Delegation von Bündnis 90/Grüne in der letzten Woche in Sarajevo und Zagreb bei ihren zahlreichen Gesprächen mit führenden VertreterInnen aus Politik und Militär, der Konfessionen und Medien, mit Diplomaten sowie MitarbeiterInnen der UNO und humanitären Organisationen zu hören bekam. „Jeder glaubt, daß es spätestens nach Ablauf des Waffenstillstandes Ende April wieder zum Krieg kommt.“ Ähnlich wie Enrico Aquilar, Zivilchef der Unprofor in Bosnien, äußerten sich auch der Vizepräsident der bosniakisch-kroatischen Föderation, Ejup Ganić oder Sarajevos Kardinal V. Puljić. Zum Gespräch mit den Grünen kam der Kardinal zutiefst deprimiert gerade aus Banja Luka zurück. In der einst multikulturellen Stadt gibt es nach seiner Feststellung „in Folge der jüngsten ethnischen Säuberungen durch die Serben jetzt überhaupt keine Muslime mehr und nur noch wenige tausend Katholiken“.

Die Summe der negativen Berichte und Einschätzungen kann sich leicht zur lähmenden, schicksalergebenen Vorerwartung auf den nächsten Krieg verdichten. Doch bei ihrer Abreise zeigten sich die Delegationsmitglieder von Bündnis 90/Grüne entschlossen, der scheinbaren Zwangsläufigkeit sich selbsterfüllender Prophezeiungen nicht nachzugeben. Ermutigt wurden sie durch die Begegnungen mit Menschen, die auch nach fast dreijähriger Belagerung durch „Karadžić's faschistische Aggressoren“ und trotz teilweise dramatischer persönlicher Schicksale auf einer Bedingung für das Überleben Sarajevos und ganz Bosniens bestehen: den Erhalt beziehungsweise Wiederaufbau der multikulturellen und multikonfessionellen Zivilgesellschaft. „Unter Einschluß der Serben“, wie zahlreiche Gesprächspartner betonten.

Bei ihrer heutigen Bonner Pressekonferenz wollen die Abgeordneten Vorschläge für die deutsche Bosnienpolitik machen, die die Chance für eine politische Lösung erhöhen sollen. Und auf konkrete Projekte und Initiativen hinweisen, durch deren Unterstützung der Überlebenswille der EinwohnerInnen Sarajevos gestärkt werden könnte. Zu den Projekten zählen etwa die Suppenküchen des Roten Kreuzes, deren Bestand über den April hinaus aus finanziellen Gründen gefährdet ist. Auch das Erscheinen der Zeitung Oslobodjenje soll gesichert werden, nicht nur in Sarajevo, sondern auch in anderen bosnischen Städten sowie in Deutschland für die hier lebenden Flüchtlinge.

Die Abgeordneten wollten sich auch dafür stark machen, daß die Unprofor-Truppen in Kroatien und Bosnien bleiben und zusätzliche Truppen an neuralgischen Grenzabschnitten zwischen Kroatien und Serbien sowie Kroatien und Bosnien eingesetzt werden. Dies entspricht einer Resolution der Bündnisgrünen, die auf dem Parteitag in Potsdam Anfang Dezember verabschiedet wurde und in der eine verstärkte Blauhelm- Präsenz gefordert worden war.

Die Reise der drei Abgeordneten mit bisher durchaus unterschiedlichen Ansichten zur Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien könnte dazu beitragen, daß Gesamtfraktion und Partei in dieser Frage zu einem pragmatischen Konsens finden. Die Forderung nach Aufhebung des Embargos wurde von den meisten muslimischen Gesprächspartnern erhoben. Daß völkerrechtliche und moralische Gründe für diese Forderung sprechen, bestritt keiner der Abgeordneten.

Umstritten blieb dagegen, ob eine offizielle Aufhebung des Embargos gegen die Muslime nicht dazu führt, daß auch die bosnischen Serben aus Serbien, Rußland und anderen Quellen verstärkt Waffen erhalten, und es im Endeffekt beim derzeitigen Ungleichgewicht bleibt — auf einem höherem Niveau.

Deutlich wurde bei den Gesprächen, daß Politiker und Armeeführung in Sarajevo längst ganz auf die inoffizielle Waffenbeschaffung setzen und nicht mehr ernsthaft mit einer offiziellen Entscheidung der USA zur Aufhebung des Embargos rechnen. Dies sei auch besser so, argumentierte Oslobodjenje- Chefredakteur Halilović. Denn eine solche offizielle Entscheidung könnte „präventive Militärschläge der Karadžić-Serben provozieren“.