Einübung in mehr Toleranz

■ In Mannheim wurde Deutschlands größte Moschee eingeweiht

Mannheim (taz) – Das Abendland ging nicht unter, vorgestern, als in Mannheim die größte Moschee Deutschlands feierlich eingeweiht wurde; nämlich die Yavuz Sultan Selim Moschee mit 2.500 Plätzen. Von all dem Widerstand, der vier Jahre lang im Stadtteil Jungbusch gegen diesen Neubau und vor allem gegen das 32 Meter hohe Minarett tobte, war am Sonnabend nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil. Die Einweihung, bewußt auf den Tag des Ramadanfestes gelegt, der für die Muslime Abschluß und Krönung der Fastenzeit ist, war eine einzige große Einübung in Toleranz.

Alle übten sie sie. Der Oberbürgermeister Gerhard Widder (SPD) erwähnte mit keinem Wort, wie schwer es für den Gemeinderat gewesen war, die Mannheimer davon zu überzeugen, daß die Moschee mitten in die Stadt gehört und nicht wie früher in belanglose Vororte oder gar Industriegebiete. Er berichtete nicht über die Ängste vieler Mannheimer vor den „Kopftuchtürken“ und vor dem Fundamentalismus. Nein, er lobte das räumliche Nebeneinander von christlichen Kirchen, der Synagoge und der neue Moschee als ein „sichtbares Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit“. Der evangelische Stadtdekan Gernot Ziegler materialisierte die Weltoffenheit und überreichte ein gemeinsames Geschenk der Protestanten, Katholiken und Juden: Einen Scheck zur Finanzierung der Deckenleuchte auf der Frauenempore. „Mögen die Frauen damit ins rechte Licht gerückt werden“, mahnte er dennoch leise. Eine Mahnung die an diesem Tag altmodisch klang. Denn auch die türkischen Ordner verhielten sich tolerant. Sie protestierten nicht gegen die Anwesenheit der Frauen in der Männerabteilung der Moschee und auch nicht gegen die paar deutschen und türkischen Frauen, die sich ganz offen dem Kopftuchgebot widersetzten.

Und irritieren ließ sich auch nicht der türkische Botschafter Onur Öymen von den vielen Kindern, die während seiner Rede um ihn herumtollten. Er schwieg selbst über die Attentate gegen seine Landsleute in Deutschland und erklärte schlicht die Toleranz zur „Hauptsache der Kultur“. Und tolerant blieben auch die Autofahrer in Mannheims Innenstadt, die stundenlang nicht weiterkamen, weil Tausende Muslime das Einweihungsfest vor den Türen der Moschee verfolgten. Es war ein rundum schöner Tag für Mannheim und seine 17.000 Türken, zumal auch die etwa 5.000 Mannheimer Kurden das Fest nicht mit einem einzigen Flugblatt störten.

Sehr erleichtert war deshalb nicht nur der Ausländerbeauftragte der Stadt, Helmut Schmitt, der die Moschee in der Innenstadt gar zu einem Symbol der Integration der Muslime in Deutschland erhob, sondern vor allem auch Osman Özay. Er ist der Vorsitzende des Islamischen Bundes in Mannheim, des Bundes, der die zehn Millionen Mark für den Kuppelbau und die Moschee durch Spenden zusammengesammelt hat. Nicht ein Pfennig öffentliche Gelder wurde für das prächtige, mit Ornamenten ausgeschmückte Gotteshaus verbaut. Fundamentalisten sind die Mitglieder des Islamischen Bundes dezidiert nicht. „Wir leben in dieser Stadt und teilen ihre Gesellschaftsordnung“, wird Özay nicht müde zu betonen. „Demokratie und Menschenwürde sind Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden.“

Die Einweihung in Mannheim ist in der Tat ein architektonischer Ausdruck für die fortschreitende Integration der Türken in Deutschland. Trotz ständiger Polizeikontrollen während der langen Bauzeit und trotz aller Anzeichen, daß der islamische Fundamentalismus an Boden gewinnt. Denn er wird vor allem dort stärker, wo die Gläubigkeit in abseitige Gebetsstuben verdrängt wird. Rund siebenhundert islamische Gebetsstätten gibt es in Deutschland, aber nur dreißig von ihnen wurden als Moscheen gebaut. Von den vorhandenen ist jetzt in Mannheim die ungewöhnlichste. Nicht nur, weil sie in der Innenstadt steht und ihr Minarett 32 Meter hoch in den Himmel ragt, sondern weil sie das Ergebnis eines holländisch-türkisch-deutschen Architektenteams ist. Das Ensemble unter der Leitung von Herbert Geißler integrierte den Kuppelbau nahtlos in die Bürgerhäuser des 19. Jahrhunderts. Sozusagen als sozialer Auftrag, Grenzen zu überwinden. Bernd Oehler/Anita Kugler