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Debatte weggedrückt

■ Die Bundeswehr plant den ersten Kampfeinsatz der Nachkriegszeit - derweil drückt sich der Bundestag vor einer dafür nötigen gesetzlichen Regelung

Debatte weggedrückt

Eine Opposition muß Alternativen bieten. Von dieser Idee muß Günter Verheugen inspiriert gewesen sein, als er sich kürzlich zum Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr zu Wort meldete. Seine überraschende These: Die Bundeswehr könne bei UN-Missionen auch in solchen Ländern tätig werden, die im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht überfallen wurden. Der SPD-Geschäftsführer ließ damit Kanzler Kohl als Zögerer erscheinen, der für historische Rücksichtnahme plädiert.

Rhetorisch fragte Verheugen, ob Kohls Haltung nicht „ein gefährlicher deutscher Sonderweg“ sei.

Vor dem Hintergrund der Vorbereitung des Nato-Abzugs aus Bosnien klingen die Äußerungen des SPD-Außenpolitikers wie eine Aufforderung zum Handeln. Tatsächlich lenken sie ab von der für Verheugen ärgerlichen Tatsache, daß die SPD über den Bundeswehreinsatz beim Nato-Abzug tief zerstritten ist. Der Rückzug der Blauhelme ist zwar von keinem der Nato-Partner gewollt, wird aber immer wahrscheinlicher.

Erklärt der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Karsten Voigt, die SPD werde dem Einsatz von deutscher Tornados in Bosnien zustimmen, fällt ihm regelmäßig entweder Parteivize Oskar Lafontaine oder dessen Kollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul ins Wort: Es gebe kein SPD-Ja zum Tornado-Einsatz. Genosse Voigt könne nur für sich persönlich sprechen, rügte jüngst die Hessin.

Kein Wunder, daß im Bundestag die größte Oppositionspartei nicht auf eine Entscheidung über den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr seit ihrer Gründung drängt, der in diesen Tagen vorbereitet wird. Längst hat das Kabinett der Nato eine detaillierte Aufstellung der Truppenteile zukommen lassen, die im Ernstfall ausrücken sollen. Das Parlament, ohne dessen Zustimmung nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts aber kein deutscher Soldat Nato-Gebiet verlassen darf, schweigt. „Schon längst“, so meint die sicherheitspolitische Sprecherin der bündnisgrünen Fraktion, Angelika Beer, „hätte der Bundestag darüber entscheiden müssen“.

Rund 2.000 Soldaten hat Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) in Brüssel angemeldet. Deutsche Bodentruppen, so wird versichert, sollen nicht nach Bosnien. Aber 70 Bundeswehrsoldaten werden im Ernstfall im integrierten Stab der Nato-Krisenreaktionskräfte mit Kollegen aus anderen Ländern den Abzug koordinieren. Stationiert wird der Stab in der nicht eben risikoarmen Region Sarajevo.

Das Kabinett legt Wert auf die Feststellung, daß es sich bei der Überstellung der Liste nur um einen „Zwischenschritt in den Nato- Eventualplanungen“ handelt. Die deutsche Planung der Abzugsteilnahme, zu der auch Übungen gehören, schaffe noch keine rechtliche Bindewirkung. Diese Argumentationslinie vertritt neben der Union und der FDP auch die SPD-Opposition im Bundestag. Vor zwei Wochen tat sie es so überzeugend, daß der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Helmut Schäfer (FDP), seinen Vorredner zu später Stunde lobte: „Herr Voigt hätte sein Redeexemplar mit meinem vertauschen können.“

Der SPD-Außenpolitiker hatte es als unverantwortlich bezeichnet, zum jetzigen Zeitpunkt im Bundestag über einen Einsatz abzustimmen, „den wir in den Bedingungen und in den Details nicht kennen“.

Den von der PDS eingebrachten Antrag, die Vorbereitungen einzustellen, solange der Bundestag noch nicht entschieden habe, unterstützte in der Debatte allein Angelika Beer. Ob die Militär-Kritikerin für ihre gesamte Fraktion spricht, ist indes auch ungewiß: Bei Voigts Rede applaudierten auch Abgeordnete aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen.

Schon stellt sich die Frage, was sein wird, wenn Schwierigkeiten beim Abzug auftreten und die Nato Nachforderungen stellt. Für die SPD sind 2.000 Mann offenbar nicht das letzte Wort. „Eine prinzipielle Begrenzung der deutschen Hilfe auf eine bestimmte Mannschaftsstärke halte ich für unsinnig“, erklärte Verheugen.

Solches Verhalten der SPD sehen die Grünen als Vorwegnahme der Großen Koalition. „Allein aber haben die Grünen den politischen Auftrag nicht umsetzen können, der der Opposition zukommt“, klagt Angelika Beer über die Schwäche des Bundestages. Das Parlament ist in ihren Augen auf sich gestellt: „Eine gesellschaftliche Debatte wurde weggedrückt.“

Dabei hatte das Karlsruher Urteil vom Sommer 1994 Out-of- area-Einsätze ausdrücklich an die Entscheidung des Parlaments gebunden. Außenminister Klaus Kinkel (FDP) sorgte sich damals um die Rechte der Legislative. Ein neues Gesetz mit genauen und stufenweisen Begrenzungen deutscher UN-Kampfeinsätze wolle er auf den Weg bringen, kündigte er wenige Tage nach dem Urteil an.

Sieben Monate später laufen zwar die Planungen für den ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr, von einem Gesetz über die Zuständigkeit des Bundestags aber gibt es weit und breit keine Spur. Auch Kinkels Ministerium arbeitet nicht daran.

„Im parlamentarischen Raum ist das momentan kein Thema“, begründet ein Sprecher des Auswärtigen Amtes die Zurückhaltung. Der Mann hat recht: In den Fraktionen besteht wenig Neigung, dem Auftrag nachzukommen, den die obersten Richter dem Parlament gegeben haben (siehe Interview). In welchen Fällen das Bundestagsplenum gefragt werden muß, ob etwa für die Entsendung von sechs Bundeswehr-Militärbeobachtern nach Makedonien die Zustimmung eines Ausschusses genügt, bleibt damit weiter ungeklärt.

Dabei ahnen offenbar auch viele Abgeordnete, daß der Bundestag mit jedem Tag Einsatzplanung seinen Entscheidungsspielraum einengt. Als im Auswärtigen Ausschuß kürzlich die Frage aufkam, ob das Parlament nach der offiziellen Anforderung der deutschen Soldaten tatsächlich noch nein sagen könne, so erinnert sich die Abgeordnete der PDS, Andrea Lederer, „da haben alle gelacht“.

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