Steckdosen-Ehrfürchtige

■ Beim Anfassen gegen die Angst: Sankt-Jürgen-Klinik präsentierte die neue Intensivstation

Karla M.* aus der Krankenhausnäherei ist aus Neugierde da: „Man muß ja wissen, was die Klinik so bietet – viele Verwandte und Bekannte fragen mich das.“ Persönlich sei sie eher nicht interessiert, meint Frau M. Nicht so Anna G.: Die Bremerin mit dem schütteren Haar möchte schon ganz gerne wissen, „was mir denn mal blüht, wenn es mit mir abwärts geht.“ Dafür hat sie einen langen Weg auf sich genommen und sich mit ihrem Gehstock ein Stockwerk Treppen hochgemüht. Denn wo sonst selbst Angehörige nur selten reindürfen, standen letzte Woche die Türen offen: Das Krankenhaus Sankt-Jürgen-Straße präsentierte seine neue „Interdisziplinäre Intensivstation“.

Neu daran ist, daß sämtliche frisch Operierten und schwerverletzten Unfallopfer, die rund um die Uhr betreut werden müssen, jetzt auf einer Station mit insgesamt 32 Betten zusammenliegen können. Ein Teil des Krankenhauszentralgebäudes wurde umgebaut, neu eingerichtet und ausgestattet: Mit viel Glas, hellen Böden und blaugrauen Geländerstreben zum Festhalten. Blitzblank strahlte die ganze Station ein paar Tage vor ihrer Inbetriebnahme, unberührt und sauber. Und vor dem Stationslageplan stand startbereit Hans-Dieter Kemp. Im Halbstunden-Rhythmus führten der Leiter der Intensiv und sein Team Gesunde wie PatientInnen und viel Hauspersonal durch ihre Abteilung.

„Gehen Sie ruhig ran“, ermuntert der Professor die BesucherInnen, die sich nur vorsichtig in die Krankenzimmer hineinwagen. Es ist, als träte man einer High-Tech-Krake entgegen: Monitortürme, Kabel, Knöpfe, Infusionsschläuche flankieren die Frontwand. Frei schwenkbare, wulstige Greifarme („Ampeln“) hängen von der Decke und umranken das schmale Krankenbett. „Wir führen die Geräte so nah wie möglich zum Patienten“ , erklärt Hans-Dieter Kamp. Sauerstoff, Druckluft, Absaugmöglichkeiten müßten doch stets griffbereit sein, „und kucken Sie sich unbedingt die vielen Steckdosen an.“ Sechs Personen ducken sich unter die Medienschiene, die auf Kopfhöhe das Zimmer langläuft. Anna G. fragt wiederauftauchend: „Haben Sie auch immer Techniker da?“

Aber ja, sie gehören mit zum Personal – Hans-Dieter Kamp hat Fürsorge und Nachsicht in der Stimme. Er weiß: die meisten der Leute, die hier mit ihm durch die Gänge laufen, haben Angst. Angst vor Krankheit, vor den Geräten, der Sterilität. Also wendet er das Blatt, zeigt die Gerätewartung, erzählt, daß man auf schweren Quarzsandbetten auch mit nässender Wunde trocken liegen kann und erntet erleichtertes Staunen. Vor allem aber bemüht sich der Chef, die kahlen, leeren Räume mit fiktivem Leben zu füllen: Große Fenster lassen erkennen, ob es Tag oder Nacht ist, Bahnhofsuhren im Sichtfeld der Kranken erhalten das Zeitgefühl, in jedem Zimmer steht in der Ecke ein „Kinderhocker“, wie er im Stationsslang heißt. „Da kann man sitzen und essen“, antwortet eine Besucherin dankbar.

Nach rechts ein kurzer Blick in den „Funktionsraum Stationszimmer“, nach links einen in den „unreinen Arbeitsraum“. Eher schweigsam läßt die kleine Gruppe den Schnelldurchlauf über sich ergehen. Hier und da tauchen Schwestern in Grün auf, Stehtischchen mit Plastikrosen säumen die Gänge. Sie werden bald weg sein, bleiben soll aber ein kleines bißchen mehr Verweilqualität als früher, auch für Angehörige. „Die sollen so oft wie möglich da sein können“, sagt Hans-Dieter Kamp, „das haben wir eingefordert.“ Kleine Aufenthaltsräume ganz in Lila und Weiß sind das Ergebnis. Es gibt eine „Besucherschleuse“ mit Schließschränken für Wertsachen und Kleidung, und diejenigen, die öfter kommen, dürfen nach dem Klingeln gleich durchgehen. „Das wird klappen, weil wir jetzt eine so gute Wegeführung haben“, findet der Chef. „Na, bei uns laufen die immer noch in den OP rein“, zweifelt ein junger Pfleger aus einem Bremer Konkurrenzkrankenhaus.

Eine Spülmaschine in der Patientenküche. Hunderte, Tausende von Schubern im Containerlager. Die Beschriftungen für „grüne Tücher“, „Atemkalk“, „Blasentee“. All das finden die BesucherInnen „schon sehr beeindruckend“. Anna G. möchte allerdings ganz gerne noch wissen, ob die modernen Bilder in den Gängen etwa von Professor Arnold, dem Chef der Inneren Medizin, sind. „Der hat doch viel gemalt.“ Sie findet sie „ein bißchen frisch“. Hans-Dieter Kamp schmunzelt nur und erläutert, man habe versucht, in der Frische einen Minimalstand zu erreichen – nicht ganz so abstrakt, aber gegenständlich auch nicht, die Farben kräftig, doch feuerrote Blutlachen seien tunlichst zu vermeiden.

So gibt man sich zufrieden und läßt sich wieder ins Treppenhaus zurückschleusen. Draußen sitzt schon die nächste Gruppe vor dem Projektor mit den Einführungsdias. Unter ihnen ist Eva Behrens, eine der SeelsorgerInnen des Krankenhauses: „Ich finde ja diese Apparatemedizin unheimlich und bedrohlich. Deshalb komme ich auch nur auf Intensiv, wenn ich gerufen werden. Das soll jetzt anders werden.“

Silvia Plahl

*Namen von der Red. geändert