■ Vom Kollektivopfer Frau zum männlichen Arbeitssubjekt: Feministinnen in Beweisnot
Kürzlich fiel mir ein vergilbter Artikel über einen Kongreß europäischer Managerinnen in die Hände. Unter dem Motto „managing the future“ erklärten die damals Versammelten die Frau als Macherin der Zukunft: fachlich fähig, integrationserprobt und beziehungskompetent. Im Computerzeitalter, so die selbstsichere Einschätzung der Autorin, stehe die Ausbeutung der „weiblich-emotionalen Ressourcen“ nun mal auf der Tagesordnung – doch so habe sich die frauenbewegte Avantgarde ihre Zukunft nun wirklich nicht vorgestellt.
Glückliche Zeiten, als das Feindbild der Frauenbewegung noch „modernisierter Feminismus“ hieß. Glückliche Zeiten, als frau, die etwas auf sich hielt, sich keinesfalls „einbauen“ lassen wollte ins „System“. Geblieben ist uns von den alten Gewißheiten nur das Wissen um deren Brüchigkeit. Der damals prognostizierte Manager-Bedarf von einer halben Million dürfte sich im Zeichen von Weltmarktkrise und „lean-production“ wesentlich „verschlankt“ haben, und trotz aller Quotendebatten sind die anthrazit-geschwärzten Vorstandsetagen bis heute nicht lila marmoriert. Die Frauen, die ins politische Rennen gingen, leiden unter akuter Atemnot in der dünnen Luft der Macht oder haben sich ganz aus dem „Kriegsgebiet“ der Frauenpolitik zurückgezogen.
Der Modellwechsel von der ominösen lila Latzhose zum schwarzen Body ließe sich getrost verschmerzen. Daß mit ihm jedoch das einst „heroische“ Bewußtsein der Frauenbewegung vielerorts einem „aufgeklärten Zynismus“ (Sloterdijk) gewichen ist, stimmt bedenklich. Die Kränkungen sind vielschichtig. Die Älteren mögen betrauern, daß ihnen das Interpretationsmonopol darüber, wie Frau leben will und soll, abhanden gekommen ist und der Feminismus seine „katechetische Kraft“ eingebüßt hat; den Jüngeren bleibt nicht einmal eine richtige Gegenrevolution, weil doch schon alles gesagt und getan worden ist. Das Kollektivsubjekt „Frau“ verspricht keine Erlösung mehr, denn es ist längst zerfallen. Die postmoderne „Dekonstruktion“ der Kategorie Geschlecht mag diesen Prozeß forciert haben; verantwortlich ist sie dafür, wie manche Kritikerinnen meinen, gewiß nicht.
In mancher Hinsicht war auch der letztjährige Frauenstreik ein „Zitat“ aus heroischer Zeit. Zitiert wurde das „Kollektivopfer Frau“ in Ost und West als einheitsstiftendes Sinnbild der schlechten weiblichen Wirklichkeit. Aber entweder hat das schlechte Leben das Bild überholt, oder frau mag sich nicht mit ihm identifizieren – jedenfalls muß man sich eingestehen, daß sein mobilisierender Effekt gering war. Es geht mir damit gar nicht um eine negative Erfolgsbilanz des Streiktags oder gar um die Leugnung der „Einheitsopfer“, unter denen es mehr Frauen als Männer gibt. Ich glaube nur, daß der Ort, von dem aus das „Wir sagen nein!“ gesprochen wurde, in dieser Form nicht mehr existiert.
Trotzdem weigere ich mich zu glauben, daß die derzeitige Agonie der Frauen generationsbedingt ist – und wir nur auf die übernächste warten müßten – oder sich aus unterschiedlichen Soziallagen oder ethnischen Zugehörigkeiten erklären läßt. Bemerkenswerterweise wirkt die Frauenfraktion, die die Zukunft eher technokratisch „managen“ möchte, ebenso hilflos wie jene, die auf deren gemeinsinnorientierte „Gestaltung“ setzt; vielleicht, weil beide überfordert sind von der Diskrepanz zwischen engen politischen, ökonomischen und individuellen Spielräumen und der Uneindeutigkeit und Unüberschaubarkeit von Entwicklungen. Sattsam bekannt ist die Auseinandersetzung um das neue Abtreibungsrecht vor dem Hintergrund der bindenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Welche Beratungs„lösung“ letztlich dabei herauskommen mag, das neue Gesetz wird, von den InitiatorInnen gewollt oder nicht, einen Paradigmenwechsel im zukünftigen biotechnologischen Kampf um den Frauenkörper einläuten.
Ein anderes, nicht weniger widersprüchliches Feld ist die Debatte um die Zukunft der Arbeit. Dörthe Jung hat auf dem bündnisgrünen Frauenkongreß im vergangenen Herbst dafür plädiert, die Krisenanfälligkeit der Arbeitsgesellschaft als Chance des Feminismus zu nutzen und alte Forderungen der Frauenbewegung – Aufbrechen der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und, damit verbunden, die Umverteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit – neu und offensiv zu Gehör zu bringen. Das klingt überzeugend, denn der Abschied vom männlichen Arbeitssubjekt und seiner Erwerbskarriere ist längst überfällig.
Betrieben wird dieser Abschied derzeit allerdings von einer Praxis, die die Feministin in Beweisnot bringt. Im Zuge des vielgefeierten Arbeitszeitverkürzungsmodells bei VW vagabundieren Hunderte von Arbeitnehmern, Männer wie Frauen, durch die Republik, um als LeiharbeiterInnen je nach Bedarf in den verschiedenen Werken zu arbeiten. Untergebracht sind sie wie in den finstersten frühkapitalistischen Zeiten in Kasernen, entwurzelt und ganz gewiß nicht in der Lage, reproduktive Aufgaben zu übernehmen. Auf den Standesämtern in Ostfriesland herrschte laut Presseberichten Hochbetrieb, weil der Trauschein angeblich vor Verschickung schützt. Den einzelnen Betroffenen bleibt gar nicht viel anderes übrig, als sich in dieses nomadisierende Dasein zu finden, wenn sie nicht die Kündigung riskieren wollen.
Abschied von der traditionellen Arbeitsgesellschaft nahmen auch die 2.700 im „ABM-Stützpunkt“ beschäftigten Leipziger SozialhilfeempfängerInnen. Sie leisten dort mit Sicherheit für die Gemeinschaft nützliche Arbeit. Man könnte das durchaus als „Umschichtung“ von bezahlter und unbezahlter Arbeit im Sinne Jungs interpretieren. Es gibt feministische Entwürfe, die für diese Art der Beschäftigung sogar verbindliche Dienstverpflichtungen vorsehen. Auch für die Leipziger Frauen und Männer ist der Handlungsspielraum unendlich gering, ihre Entscheidung verständlich. Von einem attraktiven „Gestaltungsraum“ kann in beiden Fällen keine Rede sein, wohl aber von unberechenbaren Zukunftsrisiken, die den Wunsch nach allen Sicherheiten fördern.
In dieser Situation Experimentierbereitschaft für „feministische Verunsicherungen“ mit offenem Ausgang zu erwarten ist wohl illusorisch. Der Geschlechtervertrag scheint angesichts des erodierten Gesellschaftsvertrags noch am verläßlichsten, vor allem für diejenigen, denen er eine vermeintliche Sicherheit garantiert. Für die anderen, die alleinstehenden und -erziehenden, die jungen intellektuellen, die lesbischen Frauen, die seine risikoreiche Auflösung mittragen würden, ist er ohnehin obsolet, weil sie sich im engen Rahmen der Möglichkeiten aus ihm herauskatapultiert haben. Es wäre verantwortungslos zu behaupten, daß Frauen mit der traditionellen Arbeitsteilung der Geschlechter nichts zu verlieren hätten. Daß mit seiner Kündigung mehr zu gewinnen wäre als die gerechtere Verteilung des Mangels, wie es die obigen Beispiele nahelegen, das zu beweisen wäre heute eine Aufgabe von Feministinnen. Ulrike Baureithel
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