Porentief oberflächlich

■ Neu im Kino: „Snake Eyes“, eine starke Madonna in einem schwachen Ferrara

Regisseur Abel Ferrara hat einen seltsamen Sinn für Humor. „Für mich war ,Bad Lieutenant' witzig,“ sagt er über sein gleichnamiges Drama, in dem Harvey Keitel als korrupter Polizist 90 Minuten lang fast ununterbrochen weint und Drogen nimmt. Vielleicht hatte der Filmemacher auch sein vorletztes Werk „Snake Eyes“ als heiteren Schwank gedacht, aber das gemeine Volk, also alle außer Ferrara, wird wenig zu lachen haben.

Wieder ist es Harvey Keitel, der Ferraras Obsessionen vor der Kamera ausleben muß. Diesmal spielt er den Regisseur Eddie Israel, der in L. A. einen Film über den Ehekrieg eines New Yorker Upper-Middle-Class-Paares dreht. Die Rolle des prügelnden Gatten färbt schnell auf Darsteller Francis Burns (James Russo aus Ferraras ,,China Girl“) ab; er entpuppt sich als gewalttätiger Junkie. Seine Partnerin Sarah Jennings (Madonna) wird nicht nur von ihm, sondern auch von Eddie erniedrigt, der sich dadurch glaubwürdigere schauspielerische Leistungen verspricht. Der Film entgleitet ihm ebenso wie seine eigene Ehe, und zum Schluß kann nicht mal mehr der Zuschauer sagen, was bloß Film (also sozusagen real) und was Film-im-Film ist.

Was ,,Snake Eyes“ an Intensität aufzubieten hat, ist Verdienst der Besetzung. Besonders Madonna, deren schauspielerisches Talent schon immer beachtlicher war, als man es ihr ob ihrer grausigen Rollenauswahl eingestehen mochte, hilft über manche inhaltliche Einfältigkeit hinweg Und das ist leider bitter nötig. Obwohl Abel Ferrara die Kamera oft porentief nah auf die Gesichter seiner Figuren drückt, dringt er nie unter deren Oberfläche. Es ist immer interessant zuzusehen, wie sich Leute wie Keitel, Russo und Madonna das Leben zur Hölle machen. Aber es wäre um einiges interessanter, wenn man wüßte, warum sie das tun.

Das Drehbuch von Ferrara und seinem ständigen Partner Nicholas St. John läßt die Charaktere unangebracht vage, liefert kaum Erklärungsansätze für ihr Handeln. Deshalb wirkt ,,Snake Eyes“ mit seiner bewußt kargen Kammerspiel-Inszenierung und der in letzter Zeit zu Tode exerzierten Mischung von Film- und Videobildern eher wie die unbeholfene Hollywood-Anklage eines prätentiösen Filmstudenten, als das Werk eines mit allen Wassern gewaschenen Independent-Veteranen, der mit köstlichen Reißern wie ,,Die Frau mit der 45er Magnum“ weitaus mehr sagte, obwohl in ,,Snake Eyes“ viel mehr geredet wird.

Daß Ferrara seine Dämonen mit diesem Film endgültig ausgetrieben haben könnte, ist nicht anzunehmen. Gegen seinen ganz neuen Film ,,The Addiction“, in dem Vampirismus als Symbol für so ziemlich alles von Drogenmißbrauch bis aller Länder Kriegsgreuel herhalten muß, ist ,,Snake Eyes“ noch die reinste Party.

Andreas Neuenkirchen

Läuft im Cinema (Ostertorsteinweg 105), 9. – 16. 3., jeweils 23 h