■ Press-Schlag
: Das sinnlose Tor

Er war immer einer der Stillen, immer einer der Unauffälligen. Wenn Thomas Eichin den Gladbacher Bökelberg betrat, entrangen sich den Kehlen der Fans keine Freudengesänge, keine Entzückensschreie. Im Gegenteil: Gestöhne über den drahtigen Defensivler gehörte im Fanblock zum guten Ton. Nervte Kastenmaier die Kuttenträger wegen seiner penetranten Schludrigkeit, so machte Eichin sie wegen seiner Harmlosigkeit schier wahnsinnig. Thomas Eichin hält den traurigen Rekord, der ungefährlichste Spieler der Bundesliga zu sein.

Am 2. Mai 1987 kickte er erstmals für die Gladbacher Borussia, danach bestritt der heute 28jährige 167 Erstligaspiele sowie 15 Pokalpartien – und versenkte nicht einen kümmerlichen Ball im Tor. Eine katastrophalere Torausbeute hat in 32 Jahren Bundesliga kein anderer Kicker seines Kalibers vorzuweisen. Der Einwand, Eichin sei schließlich Abwehrspieler, greift nicht. Selbst Berti Vogts, für viele der Inbegriff des talentfreien Balltreters, traf in 419 Bundesligaeinsätzen stolze 33 Mal ins Tor des Gegners.

Anfang Januar wurde der erfolglose Abwehrstratege im Winterschlußverkauf an den notleidenden Zweitligisten 1. FC Nürnberg abgegeben. Und siehe da: Schon im zweiten Spiel streifte Eichin die Last der Vergangenheit ab. Was ihm in gut 15.000 Mönchengladbacher Minuten verwehrt blieb, gelang ihm in Nürnberg schon nach deren 105: Beim 2:0 gegen Meppen erzielte er sein erstes Tor als Fußballprofi.

Doch welch ein Drama: Sein historischer Treffer wird in keiner Statistik auftauchen. Just im erinnernswertesten Moment der Eichinschen Kickerkarriere fühlte sich Coach Sebert vom Geiste Daums geküßt und wechselte einen vierten Ausländer ein. Der Nürnberger Sieg wurde in eine 0:2-Niederlage umgewandelt, Eichins Tor annulliert. Während manche Kollegen schon über Kondolenzbriefe nachdenken, macht Thomas Eichin trotzig in Optimismus. „Das wird mir jetzt bestimmt noch häufiger gelingen“, lügt sich der Unglücksrabe in die Tasche. Und fügt kleinlaut hinzu: „In meiner eigenen Statistik zählt das Tor.“ Holger Jenrich