Gesucht: Ein Henker für New York

■ Im Bundesstaat New York, der vermeintlichen Hochburg des Liberalismus, wurde die Todesstrafe wieder eingeführt

Washington (taz) – Es fehlte weder an makabren noch an dramatischen Gesten. Draußen, vor dem Parlamentsgebäude in der Hauptstadt Albany, trugen Demonstranten Pappsärge zu Grabe und skandierten: „Stoppt das legale Lynchen“. Ein paar Schritte weiter sangen 150 Schulkinder und Lehrer aus den Hutterer-Gemeinden des Hudson-Valleys Kirchenlieder – ihre Form des Protests gegen das, was zur gleichen Zeit hinter den Türen des New Yorker Parlaments geschah: Nach einer über 12stündigen Debatte stimmte erst eine Mehrheit im Senat und dann eine im Repräsentantenhaus für die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Ebenso wütend wie hilflos zog daraufhin der Abgeordnete der Demokraten, Richard Dollinger, im Parlamentssaal eine Injektionsspritze hervor – jenes Instrument, mit dem in Zukunft auch in New York zum Tode Verurteilte „human“ hingerichtet werden sollen. Damit würden nicht nur verurteilte Mörder exekutiert, rief Dollinger, „sondern auch ein Maßstab für eine zivilisierte Gesellschaft ausgelöscht“.

Am Dienstag schlug die große Stunde des republikanischen Gouverneurs George Pataki. Flankiert von Angehörigen ermordeter Polizisten, unterzeichnete er das Gesetz mit Kugelschreibern, die einst den Beamten gehört hatten. „Von nun an kann der Gerechtigkeit gedient werden“, verkündete er vor den Kameras.

New York ist damit seit 1976 der 38. Bundesstaat der USA, in dem wieder exekutiert werden darf. In jenem Jahr hatte nämlich der Oberste Gerichtshof die Todesstrafe nach einem vierjährigen Moratorium für verfassungskonform erklärt.

Daß nun auch dieser scheinbar so liberale Bundesstaat dem Ruf nach dem Henker nachgegeben hat, läßt Bürgerrechtler wie Norman Siegel, Direktor der „American Civil Liberties Union“ in New York ratlos. „Im Grund geht es um Rache und Vergeltung. Ich dachte, in diesem Staat wäre das nie möglich.“ Dabei hätte die Mehrheit der Abgeordneten in Albany die Todesstrafe längst wieder eingeführt. 18 Jahre lang war die Debatte über ein entsprechendes Gesetz ein jährlich wiederkehrendes Ritual gewesen – ein rein symbolisches allerdings. Denn 18 Jahre lang hatte der Gouverneur – zuerst der Demokrat Hugh Carey, dann sein Nachfolger Mario Cuomo – jeden parlamentarischen Vorstoß mit einem Veto blockiert.

Doch Cuomo, eine der prominentesten Figuren innerhalb der „Demokratischen Partei“, verlor die Gouverneurswahl im letzten November gegen den bis dahin weitgehend unbekannten Pataki, dessen „Reformversprechen“ vor allem zwei Punkte betraf: Drastische Senkung der Steuern und die Wiedereinführung der Todesstrafe. Vor allem letzteres hat Pataki seit seinem Amtsantritt mit geradezu missionarischem Eifer vorangetrieben.

Nach der feierlich-triumphalen Unterzeichnungszeremonie zeigte sich der Gouverneur überzeugt, „das effektivste“ und unfehlbarste Todesstrafengesetz im ganzen Land auf den Weg gebracht zu haben. Zehn Tötungsdelikte, darunter Mord an einem Polizisten oder Vollzugbeamten und Mord in Tateinheit mit einem anderen Gewaltverbrechen wie Raub, Entführung oder Vergewaltigung, können nunmehr mit dem Tode bestraft werden. Wie in Kalifornien soll auch in New York ein staatliches Büro von Strafverteidigern dafür sorgen, daß mittellose Angeklagte in Mordprozessen kompetent vertreten werden. Die Vollstreckung durch eine tödliche Injektion, mit der erst eine Narkose und dann der Herzstillstand herbeigeführt wird, soll die Ausführung des Urteils „human“ machen.

Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Unfehlbarkeit dieser Paragraphen als zweifelhaft: In dem Gesetz sind weder eine angemessene Bezahlung der Pflichtverteidiger garantiert noch Finanzmittel für – buchstäblich lebenswichtige – Ermittlungsarbeiten, die solche Anwälte oft gegen den Widerstand von Polizei und Staatsanwälten leisten müssen. Legt der Verurteilte vor einem Bundesgericht Berufung gegen das Todesurteil ein, wird sein Anwalt nicht mehr bezahlt. Eine Exekution darüber hinaus mit dem Adjektiv „human“ zu versehen, halten nicht nur Bürgerrechtsorganisationen für eine besonders zynische Formulierung.

Das Gesetz, so kommentierte die New York Times, könne über die wahren Probleme der Todesstrafe nicht hinwegtäuschen: „die grundlegende Unmenschlichkeit und die unabänderliche Endgültigkeit – verbunden mit dem Risiko, Unschuldige hinzurichten.“ Andrea Böhm