Gut durch Dr. Oetker

■ Die Ami-Droge Crack ist in Berlin noch nicht zu haben / Dafür wird "Freebase" geraucht, eine hausgemachte Variante

Manne ballert eigentlich Heroin. Aber wie viele der Gestalten, die am Kotti, Berlins beliebtestem Junkietreff, rumstehen, verschmäht auch er eine gelegentliche Spritze Kokain nicht. „Auf die Dauer kann man's gar nicht bezahlen“, klagt der 35jährige Altfixer, der in seinen martialischen Armeehosen und einer abgewetzten Lederjacke auf dem Platz rumlungert und sich als „Vermittler“ in Sachen Droge verdingt. Doch die zum Mischkonsum neigenden Junkies sind längst nicht mehr die Hauptabnehmer des Schnees. Wolfgang Götz, Leiter des Kokain-Therapie-Projektes „Kokon“, sieht einen „massiven Anstieg des Crack-Konsums“ in Berlin.

Während die traditionelle Methode, das Spaßpulver zu schnupfen, binnen weniger Minuten zu einer gehobenen Gefühlslage führt, verursacht das rauchbare Gift gleich beim ersten Atemzug eine explosionsartige Euphorie. Da das empfindliche Alkaloid sofort verbrennt, muß es zuvor in eine rauchbare Form gebracht werden, indem man es mit Natriumbikarbonat oder mit Backpulver von Dr. Oetker mischt und es in Ammoniak ausfällt. Durch dieses chemische Verfahren entstehen Steine, die man als Crack bezeichnet.

Nur hat man die in Berlin bislang noch nicht gefunden. Das liegt laut Wolfgang Götz daran, daß die Kokain-Konsumenten in Deutschland „Freebase“ rauchen. Sogenanntes „Freebasing“ ist viel einfacher als die Herstellung von Crack. Dafür eignet es sich nicht zum Verkauf. Man mischt das Kokain ebenfalls mit Natriumbi- oder Natriummonokarbonat (Backpulver, Bullrichsalz etc.) und verrührt das Gemisch mit etwas Wasser zu einer Pampe, die man dann vorsichtig trocknet. Die Wirkung ist jedenfalls die gleiche wie beim Crack, und der in einer Pfeife oder als Joint gerauchte Krümelkram führt beim Konsumenten zu einem heftigen Kick, der allerdings ebenso schnell nachläßt, wie er eingesetzt hat. Der User wird depressiv und leidet unter verschiedenen Stadien geistiger Verwirrung, die von der zwanghaften Suche nach verloren geglaubten Kokspäckchen bis hin zu Angst und veritablem Verfolgungswahnsinn reichen. Zustände, gegen die nur eins hilft: weiter zu rauchen. Ein Kreislauf, der für Crack- und Freebase- Raucher häufig nur noch durch Selbstmord zu unterbrechen ist.

„Kokain ist für Pferde / nichts für'n Mann / der Doktor sagt, es killt mich / aber er sagt mir nicht, wann.“ So sangen schwarze Bluesmusiker in den USA der dreißiger Jahre, weil sie wußten, daß das Rauschglück einen schneller ins Grab bringt als jedes andere Genußmittel. Eine Ansicht, die von Götz durchaus geteilt wird. Seiner Auffassung nach ist „Kokain die am meisten unterschätzte Droge“. Der „Kokon“-Chef kritisiert die Polizei, die diese Tendenz nicht registriere, obwohl es durch die 700prozentige Steigerung beschlagnahmten Kokains innerhalb von vier Jahren alarmierende Signale gebe.

Weil sich die Süchtigen einer Therapieeinrichtung eher offenbaren als der Polizei, gebe es aus polizeilicher Sicht so gut wie keine Erkenntnisse über das Crack nach Hausmacherart, teilt die Pressestelle der Polizei mit. Dabei würden Erkenntnisse der Polizei ganz gut tun. Schließlich kann man am Beispiel amerikanischer Großstädte beobachten, was für Folgen das Auftauchen von rauchbarem Koks in den letzten zehn Jahren hatte. Durchgeknallte Crack- Heads, die ihre paranoiden Gefühlszustände mit automatischen Knarren ausleben, haben längst für eine Explosion der Morddelikte in den Zentren des Landes geführt.

Noch vor einigen Jahren war Koks in Berlin so gut wie nicht zu haben. Und wenn, dann nur endlos verlängerter Stoff, für den der meist aus der Schickimicki-Szene stammende User bis zu 350 Mark berappen mußte. Heute ist ein Gramm Koks der Spitzenklasse in Berlin bereits für 140 Mark zu haben. Wie Psychologe Götz erklärt, werde Kokain unter 16- bis 18jährigen schon jetzt häufiger probiert als Heroin. Dazu hat gewiß auch der Ahnherr aller Psychologie, Siegmund Freud, beigetragen, der das Nasenpulver zuerst gesellschaftsfähig gemacht und es als „probates Mittelchen“ gepriesen hat. Peter Lerch