Kritische Auseinandersetzung mit der Marke

Firmen wie Adidas bezahlen „Trendscouts“, die sie mit Informationen aus dem immer schneller und internationaler werdenden jugendkulturellen Leben versorgen. Wie der Job von innen aussieht, erklärt  ■ Sascha Lazimbat

Ein Donnerstagabend in Köln. Ich stehe vor dem Eingang eines House-Clubs, ein Kamera-Scheinwerfer strahlt in mein Gesicht, und zwei hektische Gestalten huschen um mich herum. Sie heißen Jack und Jack, sind die Moderatoren einer gleichnamigen Jugendsendung in der ARD und wollen mich interviewen. Ihre erste Frage lautet: „Du bist doch Trendspion. Was wird denn im Jahre 2005 in sein?“

Selbst schuld. Wenn man einen Job macht, der die dämliche Bezeichnung „Trendscout“ trägt, darf man sich nicht beschweren, wenn einem dermaßen hirnrissige Fragen gestellt werden. Die Erfinder der Bezeichnung, die Agentur Häberlein & Mauerer aus München, sind deshalb auch verzweifelt auf der Suche nach einer etwas weniger spektakulären Wortschöpfung für das, was derzeit in ihren Diensten sieben Leute in den wichtigsten Städten Deutschlands tun. Die Agentur hat einen Kunden, in diesem Falle den Sportartikler Adidas, der festgestellt hat, daß er in der Szene einen regelrechten Kultstatus hat. Entstanden ist diese Popularität aus der Begeisterung für Old-School-Drei-Streifen-Designs aus den Siebzigern, die zwischenzeitlich fast so etwas wie die inoffizielle Uniform von sowohl HipHopern als auch Technos darstellten.

Mitten aus der Zielgruppe

So ein ohne eigenes Zutun entstandener Hype ist natürlich eine tolle Sache für das Image einer Marke, und deshalb ist man daran interessiert, ihn zu stützen und zu verfestigen. Aber was kann man nicht alles falsch machen, wenn man, ohne die Zusammenhänge zu verstehen, Sponsorgelder in irgendwelche Veranstaltungen pumpt! Wenn man sich auf der dünnen und nur schwer definierbaren Linie zwischen Kommerz und Underground bewegt, die ständiges Thema kontroverser Diskussionen aller Jugendkulturen ist, ist größte Vorsicht angebracht, sonst kann wohlmeinendes Engagement schnell zu kontraproduktiven Effekten führen. Also holt man sich die fachkundige Einschätzung, was noch als cool erachtet wird und was nicht, am besten vorher aus der Szene.

Vor Ort wurden Leute gesucht, die mitten aus der angepeilten Zielgruppe kommen. Gefunden hat man zum Beispiel eine Türsteherin und Künstlerin aus Hamburg, einen Mitarbeiter des Techno-Organs Frontpage aus Berlin, sowie Clubwear-Vertreiber und DJ-Vermittler aus München und Frankfurt. Auf mich kam man durch Artikel in diversen Musikzeitschriften.

Der entscheidende Grund, erst mal ja zu sagen zu diesem kuriosen Jobangebot, war natürlich das Geld. Eitelkeiten aufgrund der Tatsache, daß man sozusagen als Meinungsführer bestimmter Kreise auserkoren wurde, dürften wohl bei niemandem aufgekommen sein. Obwohl die Techno- und House-Szene momentan mit den Marketing-Strategien der großen Konzerne verquickt ist wie keine Jugendkultur vorher, heißt das nicht, daß man sich über die Auswirkungen solcher Geschäfte keine Gedanken macht oder nicht ab und an Bauchschmerzen hätte. Ob es befreundete DJs sind, die bei irgendwelchen Marlboro-HouseTours auflegen, Produzenten, die bei Major-Plattenfirmen unterschreiben, oder man selbst: Es herrscht ein großes Rechtfertigungsbedürfnis, man spricht gerne mit Leuten, die in ähnlichen Situationen sind. Das Hauptargument für eine Kooperation mit der „bösen“ Industrie ist meist dasselbe: Ich benutze die genauso für meine Zwecke wie die mich für die ihrigen. Und konzeptionell reinreden lasse ich mir sowieso nicht!

Für die praktische Arbeit eines Trendscouts bedeutet das etwa folgendes: Man tut nichts anderes als das, was man sonst auch tun würde. Man geht aus, streift einmal wöchentlich durch die Plattenläden, sieht dabei eine Menge Leute und schnappt den einen oder anderen Plan auf, den sich etwa ein Partypromoter zurechtgelegt hat. Einmal im Monat setzt man sich dann an den Computer und schreibt einen kleinen Bericht, in dem man die so gewonnenen Eindrücke festhält. Man weist etwa darauf hin, daß karierte Hosen und weiße Hemden für Jungs das absolute Muß sind, meldet die Sichtung von importierten Lowrider-Fahrrädern auf den Radwegen und erklärt, welche Musikstile momentan bevorzugt werden, welche Clubs gut sind und was dort an Veranstaltungen geplant ist, die eine Sponsorunterstützung verdienen würden. Auf diese Weise entsteht ein „subjektives“ Bild der eigenen Stadt, das man, mit Fotos, Flyern und Zeitungsausrissen versehen, zur Post bringt. Die Auswertung erfolgt dann in der Agentur. Dort werden die Berichte komprimiert, es werden Rückfragen gestellt, und schließlich wird das Ganze für den Auftraggeber zusammengefaßt.

Das urbane Auge der Nürnberger Prärie

Man mag sich fragen, was ein Weltkonzern wie Adidas mit einem solchen Sammelsurium von Informationen denn dann eigentlich anfängt. Im Vergleich zu Zigarettenfirmen wie Camel oder Marlboro nimmt sich das Partysponsoring der Marke mit den drei Streifen zum Beispiel eher mager aus.

Aber die finanzielle Beteiligung an irgendwelchen Raves ist auch nicht der einzige Grund, aus dem man sich das Netz von Szene-Informanten hält. Eine Firma, deren (übrigens sehr junges) Designteam im Stammhaus in Herzogenaurach irgendwo in der Nürnberger Prärie sitzt, braucht natürlich externe Augen und Ohren in den urbanen Zentren, um aufkommende Entwicklungen nicht zu verschlafen. Die Beobachtungen der Scouts dienen den Produktentwicklern also als Inspiration, um etwa den passenden naturfarbenen Leinensneaker zu den angesagten Erdfarben zu entwerfen oder den leuchtendgrünen Skateschuh für die wieder stärker werdende Skaterszene. Auch ein Feedback, wie bestimmte Kollektionsteile letztendlich dann ankommen, ist natürlich wichtig.

Alle paar Monate gibt es dann an immer wechselnden Orten Treffen, auf denen zum einen die Scouts über die neue Kollektion und hauseigene Veranstaltungen wie etwa die Streetball-Cups informiert werden, zum anderen auch ein großes Brainstorming darüber, welche Ideen die Scouts für neue großangelegte Aktionen hätten. Meist sind dies die Momente, in denen man merkt, daß man es mit einer Weltfirma zu tun hat, für die all das Trendmarketing nur ein kleiner Bereich innerhalb ihres riesigen Geschäftsbereichs ist.

Man erfährt etwa, daß die Neuproduktion des Gazelle-Turnschuhs aus den 70ern insgesamt nur ein das Image förderndes Zuschußgeschäft war, obwohl jeder Zweite, den man kennt, ein Paar sein eigen nennt. Oder der Vorschlag, die von einem Lizenznehmer in Japan hergestellten Lack- Handtäschchen an ausgewählte Clubwear-Läden in Deutschland zu vertreiben, stößt auf vehemente Bedenken rechtlicher Art. Auch wenn über mögliche Projekte zu „kontroversen“ Themen wie etwa Drogen nachgedacht wird, muß ein sorgfältig abgewogener Kompromiß zwischen Glaubwürdigkeit in der Szene und dem Gesamtimage eines Sportartikelherstellers gefunden werden, für den Doping noch eine ganz andere Bedeutung hat. Nach zwei Stunden Diskussion stürzt sich die bunt zusammengewürfelte Truppe aus Marketingexperten, Werbern und Scouts dann ins Nachtleben. Schließlich soll den Adidaslern ja mal vorgeführt werden, wovon eigentlich die ganze Zeit geredet wird.

Zukünftige Meetings sind in London, Barcelona und (das muß aber der Buchhaltung wohl erst noch erklärt werden) Tokio geplant. Klingt total überkandidelt, aber vielleicht macht es durchaus Sinn, zum Beispiel in der Themse- Metropole, wo Secondhand-Levi's- Jeans nach Jahrgängen sortiert im Laden hängen und im Victoria-&- Albert-Museum eine Ausstellung mit dem Thema „Street Style“ sich dem Kleidungsstil der Techno- Szene soziologisch nähert, ein paar hintergründigere Informationen aufzuschnappen und einen Blick in die Zukunft zu werfen.

Immer auf der anderen Seite

Allerdings erntet man meist großes Gelächter, wenn man mit solchen Erklärungen versucht, derartige Kurztrips als etwas anderes als Spesenrittertum darzustellen. Wie überhaupt von vielen in der Techno-Szene der ganze Sinn des Trendmarketings angezweifelt wird. Raucht irgend jemand Camel, weil sie sich die Love Parade gekauft haben? Das dahinterstehende Modell, durch Schaffung eines positiven Images in einer bestimmten Gruppe von Trendsettern auf lange Sicht auch den Rest der Bevölkerung, der eben jener Gruppe alles nachmacht, auf seine Seite zu ziehen, ist natürlich letztendlich eine Glaubenssache. Zumindest manchmal scheint es aber recht gut zu funktionieren, sonst stünde das Party-Gesöff „Red Bull“ nicht mittlerweile im Kühlregal fast jeder Tankstelle.

Negativere Reaktionen als Zweifel am Sinn des Engagements einer Firma wie Adidas in der Szene bekommt man als Vertreter vor Ort eigentlich nicht zu spüren. Keiner hat bislang ein kostenloses Paar Turnschuhe abgelehnt, und angesichts zunehmend astronomischer DJ-Gagen sind die meisten Veranstalter durchaus erfreut über einen Sponsor, der dezent sein Logo postiert und nicht versucht, den ganzen Club in eine gigantische Werbefläche umzugestalten. Man selbst ist ganz froh, das Geld den Leuten zukommen zu lassen, die es durch ihre innovative Arbeit auch verdienen, anstatt es im Portemonnaie eines besonders geschäftstüchtigen Groß-Rave-Veranstalters enden zu sehen. Und das ist eigentlich das Merkwürdige an dem ganzen Job: Für Adidas und für die Agentur ist es genauso wichtig wie für einen selbst, daß man immer auf der anderen Seite steht, der des Undergrounds und nicht jener der Werbeindustrie.

Denn In & Out-Listen kann man seitenweise in irgendwelchen Zeitschriften nachlesen – gewünscht ist eine unabhängige, durchaus auch kritische Auseinandersetzung mit der Marke. Und solange das so bleibt, kann ich meinem Job als Trendscout auch mit ruhigem Gewissen weiter nachgehen. Wenn nur dieses dämliche Wortungetüm nicht wäre...