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Mehr als Theaterknatsch

■ Peter Zadek verläßt das Berliner Ensemble, womit das Ost-West-Experiment im ehemaligen Brecht-Theater gescheitert wäre / Jetzt wäre ein Einschnitt notwendig zugunsten einer Kunst diesseits des Altersstarrsinns

Wochenlang drang schon dicke Luft aus der Gerüchteküche des Berliner Ensembles, jetzt verdichtete sie sich zu einer Pressemeldung: Peter Zadek verläßt das ehemalige Brecht-Theater zum Ende der Spielzeit. Das Rest-Direktorium, bestehend aus Fritz Marquardt, Eva Mattes, Peter Palitzsch und Heiner Müller, diskutierte gestern nachmittag einen zukünftigen zadeklosen Spielplan und will zu seinen Plänen am kommenden Mittwoch öffentlich Stellung nehmen. Das alles hört sich an wie üblicher Theaterknatsch. Es ist aber mehr.

Im Januar 1993 gab es die Hoffnung, daß im Berliner Ensemble die geballte Altersweisheit von fünf betagten und bewährten Regisseuren aus Ost und West produktiv gemacht werden könnte. Damals war Matthias Langhoff noch mit von der Partie, und gemeinsam zählten die Herren etwa 320 Jahre.

Langhoff schied jedoch schon im Sommer 1993 aus, seit letzten Herbst hat die Zadek-Schauspielerin Eva Mattes seine Position eingenommen. Künstlerische Impulse gingen von diesem Haus aber auch unter ihrer Mit-Leitung seither nicht aus, man pflegt dort einen diffus engagierten Realismus, stilistisch verworren durch den Zusammenprall des BE-Stammensembles mit der Zadek-Truppe.

Die künstlerischen Differenzen der Regie-Intendanten, das zeigte sich recht schnell, haben viel mit politischen Differenzen zu tun. Produktiv wurden sie nicht. Zadek und Müller zerstritten sich über die Arbeit des Gast-Regisseurs Einar Schleef.

Schleefs abgezirkeltes Kollektivtheater, das Müller protegiert, weckt bei Zadek Erinnerungen an eine faschistische Ästhetik, was er am 30. Januar in einem Spiegel-Artikel ausführte. Dort äußerte er auch seine Bedenken – Bedenken eines jüdischen Theatermachers, wie er betont –, daß Müllers Versuch, einen neudeutschen Nationalismus zu verstehen, den „Killern ein Alibi“ liefern könnte.

Müller erholte sich zu der Zeit in Pacific Palisades gerade von einer Krebsoperation und sagte zu diesem Kollegenangriff in einem Interview lediglich: „Zadek ist Regisseur. Als Journalist interessiert er mich weniger.“ Vielleicht hätte eine Stellungnahme noch zu einem Dialog führen können, eine solche Gelassenheit jedoch steigerte Zadeks Unbehagen offenbar. Jetzt jedenfalls hat er gekündigt, die Diskussion ist keine geworden und die Zukunft des Berliner Ensembles unklar.

Was der Berliner Kultursenator Ulrich Roloff-Momin dazu sagt, weiß man nicht, er macht derzeit Urlaub. Aber als Privattheater mit auf fünf Jahre festgeschriebener Förderung ist das Berliner Ensemble ohnehin Sache des Berliner Ensembles. Zadeks Stelle soll nicht wieder besetzt werden, heißt es, und auch Eva Mattes werde am Schiffbauerdamm bleiben. Eine Inszenierung wird Peter Zadek noch machen: Harold Pinters neues Stück „Mondlicht“ soll am 26. April Premiere haben.

Jetzt könnte also alles seinen mühsamen Gang gehen, doch das wäre die schlechteste aller Möglichkeiten. Vom schwerkranken Müller kann kaum erwartet werden, daß er als künstlerischer Kopf die Richtung des Hauses bestimmen wird. Die Gelegenheit ist nicht nur günstig, sondern es wäre geradezu notwendig, das ganze Ost-West-Gremium als gescheitertes Experiment aufzulösen. Im Rentenalter sind ja die meisten.

Und im Hause selbst hat sich ja mit Thomas Heise Nachwuchs etabliert, wenn er bislang auch viel zu kurz gehalten wurde. Der Dokumentarfilmer („Stau – jetzt geht's los“) und Theaterregisseur (Bertolt Brechts „Brotladen“, Heiner Müllers „Zement“, Michael Wildenhains „Hungrige Herzen“) ist politisch und künstlerisch konsequent genug, um die Tradition des Berliner Ensembles zu beleben. Sein Thema ist Rechtsradikalismus, seine Ästhetik geradezu graphisch, aber ohne lehrhaften Charakter. Ihn als künstlerischen Leiter einzusetzen, wäre eine streitbare, mutige Entscheidung für ein Theater diesseits des Altersstarrsinns. Petra Kohse

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