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„. . . von diesen Dingen nichts gewußt“

■ Die Aufarbeitung der Wehrmachtsverbrechen ist schwer – zeigte ein Vortrag von Jürgen Förster

Der ältere Herr ist nicht einmal aufgeregt. Er ist sogar die Ruhe selbst. Denn er weiß Bescheid darüber, wie es damals war. Damals, als er als Generalstabsoffizier der deutschen Wehrmacht bis in die Kalmückensteppe, tief hinein in die Sowjetunion fuhr. Nur eines hat er damals – so erklärt er in aller Seelenruhe – nicht gewußt, und die meisten seiner Kameraden angeblich auch nicht: Der Krieg, den sie führten, war ein detailliert geplanter und systematisch betriebener Vernichtungsfeldzug gegen die Völker Osteuropas.

Der ältere Herr war Zuhörer des Vortrags Verbrecherische Befehle, den Jürgen Förster vom militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam am Donnerstag abend im Rahmen der Reihe Der totale Krieg und seine Krieger im Hamburger Institut für Sozialforschung hielt. Anhand von Akten, Arbeitspapieren, Denkschriften und Tagesbefehlen der Führungsstäbe der deutschen Wehrmacht konnte Förster eindeutig belegen, daß die Militärs ebenso wie die politische Führung Deutschlands daran interessiert waren, den Krieg gegen die Sowjetunion völlig anders zu führen als gegen die vorherigen Gegner.

Bereits 1935 wurden entsprechende Überlegungen aktenkundig. Monate vor dem Überfall auf die Sowjetunion begann die Planung der Vernichtungsaktionen bis ins einzelne. Nicht nur, daß keiner der Militärführer, unter ihnen auch spätere Generäle der Bundeswehr, gegen die geplanten Massenmorde protestierte, die entsprechenden Unterlagen strotzen nur so von Formulierungen wie „beseitigen“, „schonungslos erledigen“, „mit allerbrutalsten Mitteln“. Wohlgemerkt richteten sich diese Planungen ausschließlich gegen Zivilisten und Kriegsgefangene. Schon bei Verdacht auf Widerstand gegen die Deutschen sollten Zivilisten erschossen und ganze Dörfer verbrannt werden, die politischen Kommissare der Roten Armee waren sämtlich umzubringen, für Hunderttausende von Kriegsgefangenen waren Lebensbedingungen vorgesehen, die ein Massensterben zur Folge haben mußten. Die militärische Gerichtsbarkeit wurde aufgehoben, die deutschen Kriegsverbrecher bereits im voraus amnestiert. Genauso wie geplant wurde dies alles durchgeführt.

Dem älteren Herren gefallen diese Tatsachen gar nicht. Er beharrt darauf, die meisten deutschen Soldaten hätten von diesen Dingen nichts gewußt. Doch Förster kann diese weit verbreitete Haltung als grandiose Verdrängungsleistung entlarven: Umstandslos zitiert er einen Tagesbefehl der Einheit, der der ältere Herr damals angehörte. Der Befehl besagte, beim geringsten Verdacht auf Widerstand seien auch Zivilisten zu erschießen, Kriegsverbrechen wurden so zumindest in Kauf genommen, wenn nicht gar ausdrücklich erwünscht. Den Befehl habe er nicht gekannt, sagt der ältere Herr. Und außerdem, im Kriege – da könne man nicht lange nachforschen, ob ein Zivilist wirklich Partisan sei. Ob diese Rechtfertigung sein erster Schritt zur Erinnerung ist?

Tim Fiedler

Am 17. März wird Friedrich Andrae über die Wehrmachts-Verbrechen in Italien referieren

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