Investitionen aufgeraucht

■ Zigarettenfabrik in Pankow pleite

An die Tür der traditionsreichen Zigarettenfabrik in Pankow klopfte gestern der Konkursverwalter. Der fallende Dollarkurs und andere widrige Umstände haben die 1881 von dem jüdischen Unternehmer Josef Garbaty gegründete und 1993 von der „Lübecker Zigarettenfabrik“ übernommene Firma in die Pleite getrieben. 115 Beschäftigte sitzen wohl demnächst auf der Straße.

Die Geschichte der mittelständischen Fabrik in der Hadlichstraße ist außergewöhnlich bewegt. Garbatys Söhne Moritz und Eugen, die 1929 das Werk übernahmen, mußten es 1938 zwangsverkaufen. Profiteur der „Arisierung“ und neuer Besitzer wurde Jakob Koerfer. 1949 wurde auch dieser enteignet, als die Stadtregierung unter sowjetischer Regie das Unternehmen in einen VEB umwandelte. Dort wurde fortan die „Sondermischung“ für die Deutschen und die „Regatta“ für die Rote Armee produziert. Später kam die inzwischen schon legendäre DDR-Marke „Club“ hinzu. Mit dem edlen Duft der „Club“, die nicht nach Parteiversammlung und Sprelacart-Schrankwand schmeckte, hätte die Fabrik wohl auch die Nachwendezeit überleben können. Wenn nicht dem US- amerikanischen Zigaretten-Multi Reynolds, unterstützt von der Treuhand, der große Coup gelungen wäre, noch am 3. Oktober 1990 um 16 Uhr die Rechte für die Marke aufzukaufen. Acht Stunden später wäre das nach BRD-Recht nicht mehr möglich gewesen. Reynolds blechte 13 Millionen Mark, sparte aber 47 Millionen, denn rund 60 Millionen kostet die Einführung einer neuen Sorte.

Währenddessen balgten sich die auch untereinander zerstrittenen Erben des jüdischen Firmengründers Garbaty und der Sohn des Nazi-Aufkäufers Koerfer um die Alteigentümerrechte. Die Treuhand- Verwalter suchten händeringend nach einem neuen Investor und fanden ihn schließlich in der „Lübecker Zigarettenfabrik“. Das 1770 gegründete, also nicht minder traditionsreiche Familienunternehmen übernahm die Pankower Firma im Juli 1993. Es unterschrieb einen Mietvertrag für die Fabrikhalle und akzeptierte die Bedingungen der Treuhand, 4 Millionen Mark zu investieren sowie 125 Arbeitsplätze drei Jahre lang zu garantieren. Die erste Bedingung überbot es sogar, indem es 5,5 Millionen Mark zuschoß, die zweite hielt es nicht mehr ein.

Zunächst aber schien der Rubel zu rollen. Die für den russischen Markt produzierte „Lolita“ wurde gern geraucht – vielleicht wegen der leichtbekleideten Dame auf der Packung. Längerfristig aber war Reynolds Raubüberfall auf die „Club“-Tradition nicht zu verkraften, denn die außerdem produzierten markenlosen Glimmstengel brachten auf den internationalen Billigmärkten zuwenig ein. Der Dollarverfall tat ein übriges.

„Die hatten offenbar Absatzprobleme“, kommentierte eine Sprecherin der Treuhand-Nachfolgerin BVS. Ihre Anstalt prüfe derzeit, ob sie wegen nicht erfüllter vertraglicher Verpflichtungen noch Forderungen an die Lübecker Firma habe. Die Sprecherin wies aber auch darauf hin, daß ein Antrag auf Konkurs noch nicht bedeute, daß dieser auch eröffnet und der Betrieb eingestellt werde. Auch der Betriebsratsvorsitzende Axel Lüer, der die Firmengeschichte der jüngsten Zeit mit dem Satz „Marke weg, Immobilie weg, Arbeit weg“ zusammenfaßt, hat eine winzige Hoffnung: „Vielleicht gibt es doch noch eine Wende.“ Ute Scheub

Foto: Jörg Düselder/Caro