Die heile Welt in der Glaskugel...

■ Beim Schütteln nebelt Öko-Kitsch die Szenerie ein. Einige Anmerkungen zum Trendthema Ökotourismus

Sozial- und umweltverträglicher Tourismus ist eine Spielart des modernen Tourismus. Diese ist ressourcenschonender und mittelstandsorientiert in das natürliche und soziale Gefüge einer Region eingepaßt. So wird die Landschaft nicht mehr um jeden Preis mit einer großindustriellen Infrastruktur überzogen. Das Begriffspaar sozial- und umweltverträglich suggeriert eine Wende zum Positiven: zum sozialpolitisch Wünschenswerten und zum umweltpolitisch Gebotenen. Diese Wende ist Programm: zur Sanierung der Umwelt zwar, aber in erster Linie als spezifisches Produkt. Auch sozial- und umweltverträglicher Tourismus wird von wirtschaftlichen Interessen diktiert. Der schonendere Umgang mit Mensch und Natur in der Oase verhindert nicht, daß auch mit „sanften“ Urlaubspaketen neue Umweltschäden entstehen. Wer mit dem Flugzeug eine Urlaubsreise zur sanften Destination Costa Rica bucht, hat mit den zurückgelegten Flugkilometern wahrhaft keinen Beitrag zum Umweltschutz geleistet. Und auch ein florierender Ökotourismus von Biotop zu Biotop verzichtet keineswegs auf den privaten PKW- Verkehr. Eine heilige Kuh wie das „seelische Transportmittel“ PKW (Romeiß-Stracke) wird nicht geschlachtet. Dafür werden mehr Parkplätze am Wald- oder Ortsrand in zubetonierter Landschaft eingerichtet. Der sozial- und umweltverträgliche Tourismus propagiert das Sowohl-als-auch: mit dem Auto zum sanften Waldspaziergang im Biotop oder an den Ortsrand zum Bummel in der verkehrsfreien Innenstadt. Er ist eine halbherzige Kompromißformel zwischen dem Konsumprodukt Urlaub und der Einsicht in seine zerstörerischen Auswirkungen.

Die Konkurrenz unter den Anbieterländern wächst weltweit: Immer neue Länder insbesondere der Dritten Welt versuchen über den Tourismus am Weltmarkt teilzunehmen. Von Afrika bis China werben immer neue großflächig erschlossene Regionen mit Dumpingpreisen und noch glasklarem Wasser um Touristen. Während in Ländern der Dritten Welt nach wie vor Landschaft großflächig für den Tourismus erschlossen wird, geht es in touristisch hochentwickelten Regionen, wie Italien, Spanien oder Österreich, um Produktdiversifizierung. Die europäischen Küsten sind zugebaut. Von der italienischen Adria bis zu den deutschen Mittelgebirgen sind alle attraktiven Standorte längst erschlossen. Wo die touristische Expansion nach außen zunehmend an ihre Grenzen stößt, geht die Erschließung nach innen. Für strukturschwache ländliche Regionen, die nicht mit exotischen Besonderheiten aufwarten können, die aber dennoch Anschluß an den Markt bekommen wollen, bietet sich der Sanfte Tourismus als fortschrittlichste Form des mittelständischen, unspektakulären Tourismus an. Weg von den Küsten rein ins Hinterland: so verkaufen touristische Hochburgen von Spanien bis Italien längst den „intelligenten“ Landtourismus. Auch Österreich liftet sein Image vom verdrahteten Alpenland zum zuckersüßen Dorftourismus oder Radfrühling. Und selbst das Industrieland Deutschland bietet für strukturschwache Regionen den touristischen Biotopschutz en gros (Rhön, Müritz). Der umwelt- und sozialverträgliche Tourismus bereichert den Markt.

Doch er soll auch einen Beitrag zur Lösung der großen Umweltprobleme leisten. Umweltverbände sehen in der kleinräumigen Erschließung Öko-Viren, die unser ökologisches Bewußtsein wecken und fördern sollen. Sie setzen auf die pädagogischen Effekte von exemplarischen Ökoidyllen. Die vorbildlichen Maßnahmen in sanft-touristischen Destinationen sollen sich einprägen und auf den Alltag zurückwirken. Das Biotop soll die Verantwortlichkeit für globale Zusammenhänge, das große Ganze schulen. Diese Ökoidyllen werden als ökologische Vorhut für große Veränderungen verstanden. Mit kleinen Maßnahmen, so wird suggeriert, läßt sich das aus den Fugen geratene ökologische Gleichgewicht wiederherstellen. Öko ist machbar. So aufrecht und richtig es sein mag, wenn der einzelne Urlauber aktiv seinen Beitrag zum Umweltschutz leistet, sowenig trägt dies zur Lösung struktureller Probleme bei. Wenn das plastikfreie Frühstück mit der gleichen Bedeutung versehen wird wie eine Flugreduzierung bei der TUI, dann verzerren sich die Verantwortlichkeiten. Sie werden unkenntlich gemacht. Die allenthalben empfohlenen Verhaltensformeln entschärfen so die Umweltproblematik. Sie reduzieren den Umweltschutz auf persönliche Moral und individuelles Engagement. Das eigene korrekte Verhalten wird zum Maßstab politischen Denkens. Die tatsächlichen strukturellen Ursachen, wie fortgesetztes Wachstum und unbegrenzte Mobilität, werden vor dem Hintergrund der gepflegten Kleinidylle nicht mehr gesehen. So wird an Strukturen vorbeigedacht, das Umweltengagement bleibt politisch folgenlos. Man mag dieses Denken als „selige Einfalt“ abtun (Romeiß-Stracke), bei näherem Hinsehen ist es ideologisch. Die heile Welt in der Schneekugel läßt die wirklichen Probleme außen vor. Statt dessen gaukelt sie vor, daß es reiche, korrekt auf dem Waldlehrpfad zu bleiben, um die Umwelt zu schonen.

Nicht nur die naturschonende Kleinoase wirbt mit Ökologie; auch die aggressive Variante des Oasentourismus, von der Großanlage bis zum Club, hat die Ökologie entdeckt. Selbst hier sollen Natur und Kultur geschont werden. Nicht durch kleinteiliges, mittelständisches Wirtschaften wie im Sanften Tourismus, sondern durch die Konzentration der Urlauber auf in sich abgeschlossene Großareale. Wenn öko-engagierte Stimmen für diese Areale votieren, dann in erster Linie mit dem Argument des „Managements der Menge“. Sie sehen in der uneinsichtigen Masse das eigentliche Problem. Damit diese Masse nicht noch mehr Schaden anrichtet, soll sie geleitet, beschäftigt und auf engstem Raum konzentriert werden. Die Befürworter reichen vom Tourismuskritiker Jost Krippendorf bis zum Gaukler André Heller. Die Probleme von zunehmender Mobilität und Freizeitkonsum werden der vielgeschmähten Masse angelastet, anstatt zu hinterfragen, daß Massenhaftigkeit erst durch die industrielle Vermarktung produziert wird.

Es ist opportun und liegt im Trend, sich umweltverträglich zu gebärden. Und so fehlt dem Reiseangebot nicht mehr das grüne Emblem. Auch wenn große Umweltverbände mitmachen, folgen die Umweltengel doch der Logik der Urlaubsmacher: Sie tragen dazu bei, aus dem sanften Urlaubsort das vielzitierte Urlaubsparadies zu machen oder die auf Ressourcenverbrauch ausgerichtete Großanlage ökologisch aufzuwerten. Der Urlauber verlebt sorgenfreie Tage am sauberen Ort, der Veranstalter gibt ökogerechte Verhaltenstips – mit diesen Pauschalarrangements wirbt die Branche ihre Kunden. Unter den Stichworten „Happy- Öko-Ferien“ oder „die Restnatur schonende Großanlagen“ bietet sie unbeschwerten Urlaub. Öko ist ein Verkaufsargument. Das Umweltgewissen darf im Reisebüro abgegeben werden.

Der Charme anonymer Bettenburgen hat ausgedient. Gefragt sind Erlebniswelten in perfekt gestalteten, nach innen sauberen Oasen, in denen unsere Bedürfnisse schon angekommen sind, bevor wir sie selbst kennen. Wer kann es sich heutzutage leisten, zu Hause zu bleiben, wenn er es sich leisten kann, in den Urlaub zu fahren? Das Lebensstilmuster Urlaub bindet die Menschen mehr und mehr an das vorgefertigte Ferienprodukt, zumal dieses Produkt dem Konsumenten Ganzheitlichkeit verspricht: ganz Glück, ganz Harmonie, ganz eins mit sich selbst und der Umwelt. Die ganzheitliche Rundumversorgung in der touristischen Enklave, ob klein oder groß, ist letztlich die Konsequenz einer Produktentwicklung, die ganz befrieden will, frei von äußeren Störungen. Im Biotop wie in der abgeschlossenen Großanlage unter Glas werden Erlebnisse standardisiert. Sie unterscheiden sich allerdings in ihren Inhalten, Erlebniswelten und damit in ihrer Attraktivität für bestimmte Zielgruppen. Ob das Urlaubserlebnis unter falschen Palmen, die die echten schonen sollen, gesucht wird oder auf dem Waldlehrpfad, der uns für die Natur sensibilisiert, ist letztlich nur eine Frage der persönlichen Präferenz. Die kleine wie die große Oase entführt uns in die heile Ersatzwelt, die bis zu unseren intimsten Bedürfnissen ausgelotet wurde.

Virtuelle Welt und aktiver Naturschutz verbinden sich beispielhaft im Zion National Park in den USA: Am Eingang wird ein riesiges Besucherzentrum gebaut, in dem man in einem Rundumkino und auf einem kleinen Spaziergang die gesamte Natur des Parks erfahren kann. Vorteil: Die „echte“ Natur bleibt von den Besuchermassen verschont. Ziel: das Erlebnis im Themenpark intensiver zu machen als die Wirklichkeit. Das ist die schöne neue, industriell gefertigte Welt: umweltschonend, perfekt, ganzheitlich und ganz auf sich konzentriert.

Aus: Christel Burghoff/Edith Kresta, „Schöne Ferien – Tourismus zwischen Biotop und künstlichen Paradiesen, Beck'sche Reihe 1995, 17,80 DM