: Bioethik-Konvention
■ Anthroposophen protestieren
Ein Gespenst geht um in Europa: Der Entwurf einer Bioethik-Konvention, den die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PV) am 2. Februar gebilligt hat, ein Papier, das auf vielen Seiten auf harsche Kritik gestoßen ist – auch in anthroposophischen Kreisen. Im Herbst 1994 gründete sich eine anthroposophische „Initiative gegen ,Bioethik‘“, die mit einer Unterschriftensammlung gegen den Entwurf Sturm läuft.
Die Konvention soll Mindeststandards für die medizinische und biologische Forschung setzen. Vor allem zwei Regelungen standen im Kreuzfeuer der Kritik: Die Forschung an Embryonen und an nicht einwilligungsfähigen Personen. In Artikel 15 der ersten Fassung wurde die Erzeugung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken bis zum 14. Tag nach der Befruchtung erlaubt. In der überarbeiteten Fassung wurde dieser Passus zwar gestrichen. Aber er soll später zum Gegenstand eines Zusatzprotokolls werden. „Damit wird eine Hintertür offen gelassen“, kritisiert Paolo Bavastro, Mitbegründer der „Initiative gegen ,Bioethik‘“.
Die sieben anthroposophischen Initiatoren des Aufrufes setzen sich für eine „Ethik des sich entwickelnden Menschen“ ein. Im Mittelpunkt steht für sie der Mensch als Einheit von Leib, Seele und Geist. Die Konvention hingegen, prophezeit Bavastro, ebne den Weg zur Retorten-Züchtung von Menschen. „Die Bioethik versucht bloß die Anwendung neuer Technologien in Medizin und Biologie zu rechtfertigen, statt deren ethische Dimension zu hinterfragen.“ Der Anthroposoph befürchtet, daß die Bioethik Argumentationen für eine neuerliche Einführung von Praktiken liefere, die bereits im Nationalsozialismus zu schwersten Verbrechen geführt haben. Sein Fazit: „Die Bioethik- Konvention jetzt und in Zukunft mit Entschiedenheit abzuweisen.“
Diesen Weg hält der Berliner Bürgerrechtler und Biologe Jens Reich für verfehlt: „Durch fundamentale Ablehnung gibt man sämtliche Steuerungsmechanismen aus der Hand und kann den bereits laufenden Prozeß erst recht nicht mehr bremsen.“ Da die Konvention ohnehin nur einen Mindeststandard festschreibt, können die unterzeichnenden Staaten allerdings in der nationalen Gesetzgebung strengere Maßstäbe anlegen. Der Minimalkonsens soll verhindern, daß umstrittene Forschungsmethoden immer in dem Staat mit den entsprechend günstigsten Rahmenbedingungen durchgeführt werden können. Reich: „Insofern ist dieser kleinste gemeinsame Nenner besser als gar nichts.“ Trotzdem, so plädiert der Wissenschaftler, müssen die einzelnen zu legitimierenden Methoden jeweils sehr kritisch bedacht werden.
Die Anthroposophen haben im Februar rund 3.000 Unterschriften gesammelt. Die europäische Initiative versucht nicht nur Parteien, Kirchen und andere Großverbände anzusprechen. „Denn, obwohl unser Protest anthroposophischen Ursprungs ist“, erläutert Bavastro, „geht das Thema jeden einzelnen etwas an.“ Lars Klaaßen
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