■ Die CeBit 95 in Hannover ist eine Messe der kommenden Datenautobahnen. Sechs große Anbieter aus der Computer-, Medien- und Postbranche rollen den deutschen Markt noch in diesem Jahr auf. Auch das Internet...
: Die ganze Welt im Datennetz

Die CeBit 95 in Hannover ist eine Messe der kommenden Datenautobahnen. Sechs große Anbieter aus der Computer-, Medien- und Postbranche rollen den deutschen Markt noch in diesem Jahr auf. Auch das Internet wird sich verändern.

Die ganze Welt im Datennetz

Die Welt ist klein. Karsten Weide von „Europe Online“ läßt Mitchell B. Wolfson, „Microsoft Network“, herzlich grüßen. Wolfson freut sich und will Weide mal besuchen gehen. Die Leute von „Compuserve“ zeigen ihr Produkt am Stand bei Wolfson, und „Datex J“ von der Telekom ist gleich am Tisch nebenan zu sehen. Die Telekom und Microsoft haben gerade ja ohnehin eine offizielle Kooperation mit rätselhaftem Inhalt verkündet. Fehlt noch, daß ein Vorstand von Bertelsmann zum Tee vorbeischaut.

Immer enger ziehen sich die Maschen der Unternehmen, die den Deutschen für ein paar Mark Daten ins Haus spielen wollen. Nur off the record entringen sich manchen ein paar Worte der Kritik an der Konkurrenz – während sie dreistellige Millionensummen investieren, um den anderen die Kundschaft wegzuschnappen.

Klein, so zeigen sie uns auf der CeBit 95 in Hannover, soll auch bald unsere Welt sein, vernetzt durch eine „globale Informations- Infrastruktur“, wie sie US-Vize Al Gore zuerst vor den letzten amerikanischen Wahlen ausmalte. Gore hat letztlich bewirkt, daß die Computer- und Kommunikationsmesse in diesem Jahr eine Messe der Datenautobahn ist.

Deren Modell ist das Internet, das eigentlich gar keine Datenautobahn ist. Dennoch wird „the Net“ heute gerne so genannt, weil es erahnen läßt, wie das Leben in einer weltumspannenden virtuellen Gemeinschaft einst aussehen kann: Vielleicht 40 Millionen Menschen wimmeln dort bereits heute.

Dabei ist das Internet streng genommen nur eine überalterte Konvention zum Datenaustausch zwischen regionalen Kleinnetzen. Sein Fassungsvermögen ist momentan viel zu gering, um pralle multimediale Information zu befördern, wie es von einer anständigen Datenautobahn erwartet wird. Vor allem aber: Das Internet, die nackte Datenaustausch-Konvention, gehört niemandem. Es kostet nichts.

Die Datenautobahn aber soll Geld kosten und zielt auch auf das ganz große Publikum – darum soll sie auch einfacher zu bedienen sein als das Internet mit seinem komplizierten Netzkauderwelsch (siehe Artikel unten).

Auf der CeBit ist bereits zu sehen, wie Online-Dienste aussehen müssen, die einem Unternehmen Geld bringen. Gleich sechs große Anbieter buhlen hier um die Gunst der vernetzungswilligen Laufkundschaft – die meisten Dienste aber kündigen im Moment erst ihren Start „bis Mitte 1995“ an. Den Rahm der Vernetzungssüchtigen schöpfen bis dahin die alteingesessenen Datenwirte ab – die Deutsche Telekom etwa, deren Online- Dienst BTX, zwischenzeitlich „Datex J“, nun aber „Telekom Online“ heißt. 750.000 Nutzer tummeln sich, nach über 40 Prozent Wachstum im letzten Jahr, in dem altbackenen System. Doch nach dem Vorbild des Internet, wo eine neu entwickelte multimediale Datenaustausch-Konvention mit dem Namen „World Wide Web“ den User-Ansturm zusätzlich aufbrausen läßt, hat die Telekom „KIT“ entwickeln lassen, das eine mausgesteuerte, grafikorientierte Bedienung des Datex-Systems erlaubt. Ihre Netzzugänge will sie bis zum Herbst erheblich schneller machen, der volle Zugang zum verkaufsfördernden Internet wird Mitte des Jahres möglich werden.

Alle zittern: Was wird, wenn Microsoft mit „Windows 95“ kommt?

Auch die Kundenkurve des amerikanischen Branchen-Sauriers Compuserve, seit 1991 in Deutschland, zeigt gen Himmel. Im deutschsprachigen Raum gibt es rund 90.000 „Compu-Surfer“. Seit langem gibt es schon einen Zugang zum System per grafischer Oberfläche, deren Möglichkeiten wegen darunterliegender Altlasten aber beschränkt sind. Die Dienste des Internet lassen sich schon weitgehend nutzen.

Vor allem Compuserve muß vor mindestens drei der vier neuen Online-Dienste zittern. Wenig Sorgen bereitet die Firma Apple, die im Sommer letzten Jahres einen elegant mit der Maus zu durchsurfenden Online-Dienst mit dem Titel „eWorld“ installierte, der im Laufe des Jahres nach Deutschland kommen soll. Das eWorld hat allerdings nur 80.000 Benutzer und ein mageres Informationsangebot.

Angst hat Compuserve vor „Europe Outline“ (EO). Der geplante Dienst ist im Zweifel mit besseren Inhalten ausgestattet als „World, dafür aber weltweit noch unsichtbar.

In der zweiten Hälfte des Jahres wollen die europäischen Großverlage Burda, Matra-Hachette und Pearson darin den elektronischen Absatz ihrer gedruckten Inhalte fördern. Neben der obligatorischen multimedialen Oberfläche setzt Europe Outline auf Dreisprachigkeit. Der bequeme Vollzugriff aufs Internet folgt bis Ende des Jahres. Aber EO zittert ebenfalls: „Microsoft kocht auch nur mit Wasser“, macht sich Karsten Weide, der Europe Outline in Deutschland aufbaut, selbst Mut.

Denn der Software-Gigant, dessen Benutzeroberfläche Windows auf den allermeisten PC-Festplatten dieser Welt rotiert, will mit seinem „Windows '95“, das im August kommt, per Mausklick überall auch gleich „The Microsoft Network“ ins Eigenheim schleusen. Gerüchten, daß viele deutsche Informationsanbieter vor den rigiden Geschäftstaktiken des Konzerns zurückschrecken, weist der zuständige Manager Mitchell B. Wolfson von sich: „Jeder will mit uns zusammenarbeiten. Wir haben eher schon Kapazitätsprobleme.“

Vielleicht werden sich Wolfsons Probleme dank eines deutschen Verlags-Giganten bald entschärfen: Ein paar Tage vor CeBit-Beginn ließ Bertelsmann wissen, daß man zusammen mit dem zur Zeit erfolgreichsten US-Anbieter von Netz mit Inhalt, America Online (AO), noch in diesem Jahr einen europäischen Dienst installieren wolle – ein großer Coup in letzter Minute, denn mit AO hat sich Bertelsmann das Wissen der Urmutter aller bunten und bequemen Benutzeroberflächen gesichert, mit der in den Vereinigten Staaten in den letzten zwei Monaten eine halbe Million neue Online-Kunden geködert wurden.

Ob sich auch mit dem Internet, das ohnehin zunehmend kommerzialisiert wird, im Massenmarkt etwas Geld verdienen läßt, testet gerade ein neues deutsches Projekt, dessen Initiatoren zum Teil auf dem Urschleim der deutschen Hackerszene ins Profi-Geschäft schlidderten: Das „Contrib.Net“ bietet – im Franchising-System mit lokalen Anbietern – bundesweit bereits zwanzig konkurrenzlos günstige Vollzugänge ins Internet, ein vielversprechender Verein von kleineren Dienstleistern mit dem Namen „Bundesdatenautobahn“ versorgt Informationsanbieter mit Know-how und Technik, um im Netz der Netze per „World Wide Web“-Dienst vertreten zu sein.

Nicht alle Initiativen, aber auch längst nicht alle Konzerne werden freilich ihren Kampf um Netzkunden gewinnen: Die Welt ist zu klein.

Thomas Wegner, Hannover