Sanssouci
: Nachschlag

■ Edson Cordeiro in der Passionskirche

Seit 2.000 Jahren wird es uns eingehämmert: Wunder gehören in die Kirche. Stimmwunder auch. Die Passionskirche in Kreuzberg ist dafür genau der richtige Ort, zumal in diesem speziellen Fall. Wer zum Konzert von Edson Cordeiro – brasilianischer Wundersänger – wollte, mußte den Kalvarienberg durch eine große, drängende, erwartungsvolle Menschenmenge vor dem engen Tor „hinaufsteigen“, um einen Blick auf IHN werfen zu können.

Und dann passierte es: Das Konzert begann aus dem Off. Im Dunkeln hörte man die Falsettstimme des ehemaligen Chorknaben sich als Verkörperung einer symbolischen Einswerdung mit dem Publikum ankündigen: „I am coming, I am coming, I am coming through! Coming across the divide to you.“

Das Lied ist der Main Track seiner neuen CD und läßt keinen Zweifel daran, daß der „Prince der Schwulen“ ein Faible für das Androgyne hat. „Here I am. Neither a woman, nor a man“ – wer ihn gesehen hat, glaubt es ihm. Seine langen, geölten Locken und sein lasziver Körper mit entblößter Brust spielen mit Attributen des Weiblichen und des Männlichen.

Was er mit seiner Stimme macht, bricht die Grenzen der einfachen Zuordnung in gleicher Weise. Seine Hommage an Sängerinnen, die vor gesanglichen Extremerfahrungen nicht haltmachen, wie Yma Sumac, Nina Hagen, oder an Männer wie Klaus Nomi sind nur ein Aspekt. Tatsächlich kann Cordeiro mit einer Leichtigkeit, die staunen macht, von Arien aus Carmen oder der Zauberflöte zum Jazz, zum Rock, zu gregorianischen Gesängen, zu einem dynamischen Flamenco oder Samba wechseln. Und spätestens dann fällt die Selbstverständlichkeit auf, mit der Edson Cordeiro allen ihn umgebenden Personen, mit denen er den Auftritt teilt, Raum gibt: seinen beiden kongenialen Musikern, Miguel Briamonte am Piano, dem Percussionisten Eduardo Contrera, und dem Publikum – Musik ist Kommunikation.

Nichts ist zu spüren von Affektiertheit und Egozentrik, die man ihm aufgrund des Tourplakats unterstellen könnte. Zu keinem Zeitpunkt muß er die ZuhörerInnen zum Mitmachen zwingen – es ergibt sich von selbst. Das Publikum ist begeistert, auch das auf der Empore, obwohl es darunter litt, daß – je näher dem Himmel, desto entfernter die irdischen Genüsse – der Sound dort oben nur noch als Einheitsbrei serviert wurde.

Edson Cordeiro singt sich in Coverversionen durch die Musikgeschichte. Daraus zu schließen, er hätte viele Stimmen, aber keine eigene, trifft den Kern nicht. Stimmvielfalt ist ihm Verpflichtung. Daß er sich in Zukunft des Werks längst vergessener SängerInnen seines Kontinents annehmen wird, wird den EuropäerInnen noch verschlossene Türen öffnen. Eben: „I am coming through, coming across the divide to you.“ Und: „Yes at last, at last to be free of the past and of a future that beckons me.“ Waltraud Schwab