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Ein dickes Programm

■ Bündnisgrüne beschlossen Grundsatzprogramm / Paragraph 218 und Verfassungsschutz sollen weg / Schnelle Länderfusion

Mit einem umfangreichen Grundsatzprogramm treten Bündnis 90/Die Grünen zur Abgeordnetenhauswahl im Oktober an. Das rund 150 Seiten dicke Konzept mit dem Titel „Berlin als umwelt- und menschenfreundliche Metropole“ wurde nach Beratungen an zwei Wochenenden am Samstag abend von einer Landesdelegiertenkonferenz ohne Gegenstimmen beschlossen; zwei der rund hundert Delegierten enthielten sich. Es ist das erste Programm, das Bündnis 90 und die Grünen nach ihrem Zusammenschluß im Sommer 1993 erarbeitet haben.

Darin setzen sich die Bündnisgrünen für eine ökologische, soziale und demokratische Stadtpolitik ein. Mieten sollen bezahlbar bleiben, Boden- und Immobilienspekulationen eingedämmt werden, und die Bürgerbeteiligung soll durch Volksentscheide, allgemeines Akteneinsichtsrecht sowie eine Verbandsklage gestärkt werden. Die Partei bezeichnet sich als wählbare Alternative zum jetzigen CDU/SPD-Senat.

Beim zweiten Teil des Programms ging es an diesem Wochenende um eine Unzahl von Änderungsanträgen zur Innen-, Bildungs- und Kulturpolitik sowie zur Verwaltungsreform. Im Gegensatz zum ersten Teil der Debatte (taz v. 7. März), in der es um die Themen Wirtschaft, Soziales, Gesundheit, Umwelt und Stadtentwicklung gegangen war, beharrten die Bündnisgrünen diesmal stärker auf Essentials der vergangenen Jahre.

In der Innenpolitik steht bei den Bündnisgrünen das Selbstbestimmungsrecht der Frau an vorderster Stelle. Sie fordern, den Paragraphen 218 abzuschaffen. Priorität genießt auch die Verbesserung der Situation von Flüchtlingen. So soll das Grundrecht auf Asyl wiederhergestellt und die „Flüchtlingsdefinition“ erweitert werden. Vergewaltigung und Homosexualität sollen künftig als Asylgrund akzeptiert werden. Menschen ausländischer Herkunft, die sich mehr als fünf Jahre rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhalten, sollen das Wahlrecht erhalten. Die Bündnisgrünen fordern einen Senator für multikulturelle Angelegenheiten.

Sollte am 22. Oktober, dem Wahlsonntag, ein rot-grünes Bündnis gewählt werden, wird es in den Koalitionsverhandlungen auch um die zweite Staatsanwaltschaft, die Direktionshundertschaften der Polizei und die Freiwillige Polizeireserve gehen. Die Landesdelegierten beschlossen deren Auflösung. Auch über die Abschaffung des Verfassungsschutzes müßten die Sozialdemokraten mit sich verhandeln lassen – in der Programmdiskussion wurde die Uraltforderung der Alternativen Liste allerdings vergessen, so daß dieser Punkt nachträglich eingefügt werden mußte.

In der Bildungspolitik haben die Bündnisgrünen endgültig davon Abschied genommen, das differenzierte Schulsystem abschaffen zu wollen. Die Gesamtschule soll dennoch gefördert werden. Die Schule soll jetzt eher von innen heraus reformiert werden. Sowohl die Grundschule, die erst mit dem sechsten Schuljahr enden soll, als auch die anderen Schulen sollen Kindern und Jugendlichen ganztägig zur Verfügung stehen. Die Bündnisgrünen lehnen das neugegründete zentrale Landesschulamt weiterhin ab und wollen es im Fall ihrer Regierungsbeteiligung „sofort“ abschaffen. Bei den Hochschulen soll zwar gespart werden, nicht aber so extrem wie unter der Großen Koalition. 100.000 Studienplätze sollen „ausfinanziert“ werden.

Ein neues Bundesland Berlin- Brandenburg wird nachdrücklich unterstützt. Die für 1999 vorgesehene Fusion mit Brandenburg dürfe nicht verschoben werden, neue Landeshauptstadt soll Potsdam werden.

Wie und mit wem das alles durchzusetzen ist, bleibt vorerst allerdings offen. Eine Bündnisaussage für die Wahlen im Oktober soll erst auf einer weiteren Landesdelegiertenkonferenz am 8. April getroffen werden. Auf dieser Konferenz soll es dann auch um das Verhältnis zur PDS gehen. Dirk Wildt

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