Der Haken des Tigers

Dariusz Michalczewski verteidigte in rund vier Minuten, aber nicht ganz problemlos, den Weltmeistertitel des winzigen Boxverbandes WBO  ■ Aus Köln Thomas Lötz

Obwohl es der erste Weltmeisterschaftskampf im Profi-Boxen überhaupt war, den die alte Kölner Sporthalle in ihrer langen Geschichte erleben durfte, dauerte es nicht lange, bis jemand das böse Wort in den Mund nahm. „Das ist doch alles nur Fallobst, was hier boxt“, sagte ein aufgebrachter Mann im Foyer, während drinnen noch das zum Teil verdammt mitleiderregende Rahmenprogramm der ersten Titelverteidigung des Halbschwergewichts-Champions nach WBO-Version, Dariusz Michalczewski, durch den Ring ging. Und damit sprach er etwas aus, das viele der 8.000 Zuschauer wohl auch von dem Herausforderer des „Tigers“, vom Spanier Roberto Dominguez, dachten: Da haben sie sich einen zum Weghauen ausgesucht.

Diesen Eindruck konnte zunächst auch die an die späten Rocky-Filme erinnernde Eröffnungsshow des Hauptkampfes nur unmerklich verwischen. In einer Mischung aus Lächerlichkeit und zumindest technisch beeindruckendem Spektakel wurde der Titelträger aus Deutschland in einer Ein-Personen-Gondel an einer 66 Meter langen Schiene in zehn Metern Höhe durch die Halle gefahren, abgesetzt und bestieg dann den Ring. „Ob ich zum Ring laufen oder fliegen soll, ist mir egal. Das ist die Show für die Fans“, meinte der Tiger nachher unangestrengt. „Die eigentliche Show aber findet im Ring statt.“ Und das tat sie dann, wenn auch erst einmal nicht so, wie allgemein angenommen worden war.

Denn der 26jährige Roberto Dominguez, der den Titel „spanischer Meister“ völlig zu Recht trägt, da er noch nie zuvor außerhalb seines Heimatlandes zu einem Profi-Fight angetreten war, kämpfte für seine Verhältnisse großartig. Er schlug, ohne daß seine Hände wirklich mächtig flogen, dem Tiger im ersten Durchgang fünf, sechs Wirkungstreffer an den Kopf. Nach einer rechten Geraden hatte der Deutsche seinen ersten Cut weg, und nur kurze Zeit später schickte ihn ein Haken des Spaniers auf die Bretter. Michalczewski wurde angezählt.

„Ich habe die Nacht mit dem Tag verwechselt, zu lange geschlafen, und Roberto hat mir mit dem Aufwärtshaken ,Guten Morgen‘ gesagt“, gestand Michalczewski im nachhinein. Die Anspannung vor der ersten Titelverteidigung sei mächtig groß gewesen und außerdem habe er geboxt wie ein Herausforderer, statt abzuwarten sei er draufgegangen, habe die Entscheidung gesucht. Letzteres entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, eher verhielt es sich so, daß Michalczewski ohne effektive Deckung boxte und völlig unvorbereitet angriff.

Im Rundenbreak zwischen der ersten und zweiten stand sein amerikanischer Coach Chuck Talhami vor ihm und wusch ihm gehörig den Kopf. Die Ringglocke läutete. Jetzt war er da. Sofort bekam sein Gegner Probleme. Nach einer Minute und fünf Sekunden täuschte Michalczewski eine Rechte an, ließ dann jedoch einen gewaltigen Linkshaken an der Deckung des Spaniers vorbei an dessen Kopf schnellen. Dominguez sackte weg, ging zu Boden und blieb bewegungslos liegen. Erinnerungen an den fürchterlichen Ausgang des Profikampfes zwischen Nigel Benn und dem erst vor wenigen Tagen aus dem Koma erwachten Gerald McClellan in London mischten sich mit dem Jubel in der Halle. „Ich habe gesehen, daß seine Augen offen waren, und da habe ich mir keine Sorgen mehr gemacht“, beantwortete Michalczewski Fragen, die in diese Richtung zielten. Und als Dominguez sich dann endlich wieder aufrichtete, konnte man zumindest aus einigen Ecken der Halle erleichtertes Klatschen hören.

Die Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg wird am 20. Mai Veranstaltungsort des nächsten Tiger- Fights sein, wobei der Gegner noch nicht feststeht. Die Wahl des Termins hat notgedrungen eine gewisse Stoßrichtung. Denn eine Woche später wird, wenn es nicht doch noch irgendwelche rechtlichen Probleme geben sollte, in der Dortmunder Westfalenhalle der spektakulärste Halbschwergewichtskampf aller gewesenen deutschen Zeiten über die Bretter gehen. Dann stehen sich – endlich – Gut und Böse im Ring gegenüber. Dann boxt IBF-Halbschwergewichts-Weltmeister Henry „The Gentleman“ Maske gegen Graciano „Rocky“ Rocchigiani. Da wird der Tiger wohl für eine kurze Zeit in die Vergessenheit geraten.