Pathetische Jahresendzeitfiguren

■ Deutsche Erstaufführung des 2. Teils von Tony Kushners „Engel in Amerika“

Es gibt 1001 Gründe, um den 2.Teil von Tony Kushners „Engel in Amerika“ mögen zu wollen. Einer davon ist, daß der 1. Teil so gut war: Ein Stück über Schwule traute sich an das Thema Aids heran und benutzt die Krankheit als Metapher für den Zusammenbruch der Zivilisation am Ende des 20. Jahrhunderts. Aber Christina Friedrichs Premiere von „Perestroika“ entäuschte alle guten Absichten.

Am Wochende erlebte der zweite Teil von Tony Kushners „Engel in Amerika“ im Schauspielhaus seine deutsche Erstaufführung. Die Originalaufführungen am Broadway und im National Theatre in London konnten auf der Welle des überaus erfolgreichen ersten Teils von Tony Kushners Aids-Stück mitsegeln. Das war vor zwei Jahren. Als bei der Bremer Premiere an den Erfolgszug angekoppelt werden sollte, erschien am Start eine Horde Fußlahmer. So ist der Erfolgsexpress längst an Bremen vorbeigefahren und mit deutschem Pathos ist der Erfolg der Schwulen-Komödie nicht mehr aufzuholen.

Dabei hatte alles so gut begonnen. Im November ging mit dem ersten Teil eine gelungene Inszenierung über die Bühne. Christina Friedrich machte aus dem amerikanischen Aids-Stück der 80er Jahre einen gelungenen Theaterabend. Trotz des schwergewichtigen Themas, gelang es der Inszenierung eine leichte, amerikanische Stilsprache zu finden. Mit Musical-Anklängen, einem offenem Umbau und schnellen Szenenwechseln entstanden Filmsequenzen, die aus Kushners Vorlage vom schwulen Amerika die Glamourqualitäten rausholten und damit das Thema Aids auch einem Abonentenpublikum nahebrachte.

Der Neuaufguß schmeckt dagegen, als hätte man den alten Kaffeesatz noch einmal verwendet: fad und trüb ist noch das harmloseste Geschmacksurteil, oft wirkt „Perestroika“ deplaziert und langatmig.

Die schwule Personage aus Teil 1. hat im 2. Teil schwer zu kämpfen. Es gibt die ersten Aids-Opfer zu beklagen, Krankenbett und Tod sind ins Theater eingezogen. Prior (Pierre Besson), im 1. Teil noch über die Entdeckung der Krankheit erschrocken, kämpft mit dem Einsatz seiner ganzen Willenskraft gegen den Feind Immunschwäche. Das macht ihn stark und attraktiv. Mittlerweile will sein alter Freund Louis, der ihn bei Ausbruch der Krankheit verlassen hat zurückehren. Die Schuldgefühle belasten ihn auch in der neuen Beziehung zu seinen Liebhaber Joe, der für ihn gerade seine Valium süchtige Frau Harper verlassen hat. Aber der einmal verlassene Prior bleibt hart und sagt nein, er läßt sich auf keine Annäherung mehr ein. Er hat gelernt, ist an der Krankheit gewachen, will uns Kushner sagen und einem Schauspieler wie Pierre Besson nimmt man den Anflug ins Heldenhafte auch ab. Aber da ist er der Einzige. Roy, der ehemals enorm erfolgreiche Staranwalt liegt jetzt im Krankenhaus. Zwar konnte er es noch erreichen in eine spezielles Forschungsprogramm aufgenommen zu werden, aber zu spät. Er stirbt einen qualvollen Tod.

Der Titel „Perestroika“ steht für das Ende der Ideologie, wie Kushner das nennt, Rechts schläft mit Links. Aber wenn Louis seinem neuen Liebhaber Vorhaltungen macht, er habe seine Macht als Anwalt mißbraucht und Homosexuelle verurteilt, dann trifft den Zuschauer diese Information ziemlich unvermittelt. Im Unterschied zum 1.Teil ist das Stück kaum noch in die Reagan-Ärea eingebettet. Ausbaden müssen das die Figuren. Keiner der Charakter ist mit genügend Individualität ausgestattet, als daß wir ihre Geschichte mit Spannung verfolgen könnten. Wie abgeschottet hinter der Trennscheibe einer Intensivstation leben sie ihren apokalyptischen Alptraum. Weder das aseptische Bühnenbild noch die Inszenierung helfen ihnen da heraus, denn die Klarsicht trübt ein Nebel aus Pathos. So färbt die bedrückende Aura der Krankheit und lähmt von Anfang an.

Mit einem schnellen Szenenwechsel, einer ironischen Brechung oder dem intelligenten Einsatz der ansonsten gelungenen Musik (Alan Bern) wäre einiges zu retten gewesen. Warum Christina Friedrich das nicht tut, bleibt rätselhaft. Bis zur Pause hat sie ihr Publikum auch so erschöpft, daß die stringentere zweite Hälfte des Abends kaum noch etwas herausreißen kann. Alles, was im 1.Teil des Engel-Dramas vor drei Monaten noch funktionierte, mißlingt hier: Das Tempo schleppt sich hin, sobald der Vorhang hoch geht. Nie stimmt der Rhythmus, nie hilft der Wechsel zwischen den Szenen der Inszenierung über die Runden.

Aus einem amerkanischen Stück aus der Tradition des Broadway-Musical ist ein pathetisches deutsches Requiem geworden.

Susanne Raubold

Nächste Aufführung: Teil 1. heute um 20 Uhr. Teil 2. „Perestroika“ 15.3. u. 18. 3. um 20 Uhr