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Geraubte Erinnerungen

Eine Ausstellung, auf der nicht für jeden etwas dabei ist: Die Polizei präsentiert in Neukölln gestohlenen Schmuck und sucht die wahren Besitzer  ■ Von Simone Miller

Auf der Polizeidienststelle 54 in Neukölln werden seit gestern sentimentale Erinnerungen geweckt. „Hier“, strahlt Annemarie Will und deutet auf ein paar silberne Ohrringe sowie einen passenden Anhänger aus Silber mit Aquamarinbesatz, „diesen Schmuck hat mir mein Mann vor mehr als zehn Jahren zu Weihnachten geschenkt.“ Die Freude ist groß. Schienen die kostbaren Stücke doch auf Nimmerwiedersehen in Tresoren Neuköllner Schmuckhehler verschwunden zu sein.

Suchend wandern die Blicke von Annemarie Will über die Ringe, die ebenfalls im dritten Stock der Wache ausliegen. Der Ehering ihres Mannes Kurt ist nicht dabei. Auch dieser befand sich in der Schmuckschatulle in ihrem Wäscheschrank, bevor im November vergangenen Jahres Einbrecher die Sammlung raubten. Das Paar trägt's mit Fassung. „Ach, wissen Sie“, meint der freundliche Rentner und sieht nachdenklich auf seinen nackten Ringfinger, „der Ring war mir sowieso zu eng geworden. Eine Ehe kann auch ohne Gold glücklich sein.“

Es herrscht reger Andrang am ersten Tag der Ausstellung von gestohlenem Schmuck. Vor allem ältere Herrschaften beugen sich über die rund 1.100 ausgelegten Uhren, Ketten, Ringe und Münzen im Gesamtwert von 300.000 Mark. Doch nur selten findet sich ein verlorengegangenes Stück wieder. „Vor einem Jahr wurde mir der ganze Tresor aus der Wohnung geklaut“, sagt ein Mann, der vor der Tür auf Einlaß wartet. Seitdem wurde er immer wieder zur Identifikation von Schmuckstücken zur Polizei gebeten. „Ich glaube nicht, daß ich hier fündig werde“, meint er resigniert. „Aber einen Funken Hoffnung hat man ja doch immer.“

Auch Kommissariatsleiter Hans-Peter Otto hofft wenigstens einen Bruchteil der ehemaligen Besitzer ausfindig zu machen: „Solange die rechtmäßigen Eigentümer des Schmucks nicht gefunden werden, können wir mit den Ermittlungen nicht fortfahren.“ Jedem Dieb, so Otto, müsse der Entwendungsort nachgewiesen werden. Viele Trickdiebe und Hehler würden sonst behaupten, sie hätten den Schmuck geschenkt bekommen. Zur Sicherheit, empfiehlt der Kommissar, sollte neuerworbener Schmuck durch eine Gravur gekennzeichnet oder fotografiert werden. Üblich sei es auch, sich beim Juwelier einen Zertifikatpaß ausstellen zu lassen.

Für viele Objekte, die wohl weniger einen käuflichen Wert denn eine persönliche Erinnerung darstellen, kommt der gute Rat zu spät. Fraglich bleibt, ob sich der Exbesitzer des dicklichen Silberschweins finden wird, das etwas verloren zwischen Brillantringen liegt. Und wem gehörte wohl einst das feinverzierte Puderdöschen? Das Leben Christi, auf 24 Silbermünzen gedruckt, wartet ebenso auf seinen ehemaligen Eigentümer wie jede Menge Modeschmuck und selbstbemalte Batikbroschen.

Eine Dame aus Australien fuchtelt aufgeregt mit einem Foto herum, das sie mit einem goldenen Herzamulett um den Hals auf einer Faschingsparty zeigt. Die Kette, so glaubt die Hausfrau, habe sie hier gesehen, das Herz, ein Andenken an ihren Mann, nicht.

Die Ausstellung in der Sonnenallee 107 ist bis Freitag täglich von 12 bis 20 Uhr geöffnet.

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