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Der Vatikan hat gewonnen

Die aus Lateinamerika übernommene Befreiungstheologie ist auch in Italien am Ende. Rückkehr zur Amtskirche als Schlußpunkt  ■ Aus Rom Werner Raith

Der schwärzeste Tag im Leben des Carlo Cenci kam im Frühjahr 1992. „Da standen wir so in etwa vor den Ruinen einer Idee, die uns mehr als zwei Jahrzehnte am Leben erhalten hatte.“ Nach heftigen Diskussionen war damals die 1969 von Don Mazzi gegründete berühmteste und größte „Basisgemeinde“ Italiens in Isolotto bei Florenz in die Arme der vatikanischen Kirche zurückgekehrt – frustriert von den ständigen Schlägen des obersten katholischen Glaubenshüters Josef Kardinal Ratzinger und verlockt von einer von vielen als echt empfundenen „Wende“ des Papstes im Zuge des Irak-Krieges.

„Vielen von uns war klar, daß Karol Wojtylas Eintreten für den Frieden gerade im Irak vor allem strategische Ziele hatte“, sinniert Carlo noch heute, „schließlich lebt dort die dichteste Katholikenschar der gesamten islamischen Welt, und er hatte dieses Land als eine Art ,Einfallstor‘ in den voranmarschierenden Fundamentalismus angesehen.“

Nichts zu machen. „Die anderen nahmen die Wende als aufrichtig und ganzheitlich und beschlossen, den Dissens zur römischen Amtskirche aufzugeben.“ Für Menschen wie Carlo oder seine Schwester Emilia, die beide aus der franziskanischen Bewegung kommen, wäre „die Form der Angehörigkeit zur vatikanischen Kirche zwar eher nebensächlich gewesen, doch die formelle Unterwerfung war es nicht“. Sie sahen darin die Preisgabe jener Art religiösen Denkens, das sich in den 70er Jahren vor allem in Südamerika unter dem Namen der „Theologie der Befreiung“ ausgebreitet hatte und dem eine Reihe europäischer Initiativen gefolgt war.

Eine „parteiische Kirche“ hatten sie gefordert, viele Gedanken von Marx übernommen, Revolution nicht als an sich schlecht interpretiert, sondern als eine Antwort verzweifelter Menschen, der sich auch gläubige Christen ohne Verletzung des testamentarischen Gedankens anschließen können.

Die Vordenker der Bewegung, etwa die lateinamerikanischen Theologen Gustavo Gutierrez und Leonardo Boff, hatten in ihrer Interpretation der Botschaft Christi „den Schrei der Armen“ zu erhören gesucht und die Amtskirche „erstarrter, evangelienferner Machtverfallenheit“ geziehen. Im Vatikan hatte die Bewegung hektische Aktivität ausgelöst. Schon zur Amtszeit Papst Pauls VI. führte es zu der Gründung eines eigenen „Studienkreises Kirche und Befreiung“, dessen Zweck die Unterdrückung dieser Denkschule war, und später wurden zeitweilige Veröffentlichungsverbote für einige Theologen der Befreiung, darunter auch Boff, ausgesprochen. „Gerade diese Unterdrückungsmaßnahmen waren es, die unsere Basisgemeinden hier in Italien zum Blühen brachten“, erinnert sich Emilia: In ihnen scharten sich Dissidenten und verheiratete Priester, Frauen, die sich partout nicht mit ihrem Ausschluß aus dem Priestertum abfinden wollten, und Mitarbeiter karitativer Organisationen, die mit ihren obrigkeitshörigen Chefs aneinandergeraten waren. Es kamen aber auch „viele Gläubige, die bei ihrem Seelsorger allenfalls Sorge um den Neubau einer dritten Kirche in ihrem Sprengel und weniger um das Heil der Minderprivilegierten entdeckt hatten.“

Sicher, die eigentliche Bewegung der Basisgemeinden hatte ihren Platz in Lateinamerika. Doch „irgendwann haben wir begriffen, daß dieser Druck, den der Vatikan auf die südamerikanischen Katholiken machte, um sie regimekonform zu pressen, auch uns betraf, und wir haben mit dem innerkirchlichen Widerstand begonnen“, sagt Carlo. Nachbarschaftsarbeit und Sichkümmern um Randgruppen, gerade auch um die von Wojtyla stigmatisierten, etwa Homosexuelle, wurde zur vornehmsten katholischen Pflicht erhoben.

War es nun die Wühlarbeit des reaktionären „Studienkreises Kirche und Befreiung“, war es das harsche Verdikt Ratzingers und Wojtylas, oder war es schlichtweg Erschlaffung nach Jahren fruchtlosen Kampfes – „jedenfalls waren wir Anfang der 90er Jahre ziemlich ausgepowert“, gesteht Emilia. Die Rückkehr in die Amtskirche, aus der die Gemeinde ein Jahrzehnt zuvor teils freiwillig ausgezogen war, schien nur den Schlußpunkt unter die Krise zu setzen.

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