■ Das Portrait: Dieter Schnebel
Die Geburt von Multimedia aus dem Geist der Sechziger: Happenings durchtobten die Galerien der bildenden Kunst, Fluxus und Neo-Dada erweiterten Kunst und Musik durch Verquickung mit Theater, Film und elektronischen Mitteln. Mit unter den Akteuren: Dieter Schnebel, heute beinahe ein Klassiker, damals ein Klangerfinder, der, in Nachfolge Eichendorffs, das Lied in allen Dingen wecken wollte.
Umwege nahm er dabei nur wenige in Kauf. 1930 in Baden geboren, macht er sein Klavierlehrerexamen, studiert Theologie, Philosophie und Musikwissenschaft, ist dann als Pfarrer und Schulmusiklehrer tätig. Schnebel, der stets ein undogmatischer und offener und – weil neugierig – eben auch experimenteller Denker war, konnte alles, was mit und um die Musik geschieht, zum Gegenstand seiner Untersuchung machen.
So entdeckte er die Rollenspiele in der Musik, verarbeitete die bisweilen bizarren Rituale zwischen Instrumentalist, Dirigent, Publikum, ihre Kommunikationsformen und Funktionen und suchte nach Möglichkeiten und Grenzen des „Instrumentalen Theaters“, von „Sichtbarer Musik“ (sei sie auf der Bühne, im Fernsehen oder im Film) und von einer „Psychoanalytischen Musik“. In mehreren Werk-Zyklen rückte er die Randbedingungen des Musikmachens in den Mittelpunkt, nahm das Drumherum der Musik für das Eigentliche.
In den siebziger Jahren vollzieht sich ein Wandel in Schnebels Werk. Seine konzeptionelle Arbeit weicht ausformulierten Notentextarbeiten, einem „echten“ Komponieren mit Melodien, Rhythmen und Vorzeichen. Er schreibt mehrere Zyklen mit Bearbeitungen von großen Meistern der Musikgeschichte, von „Re-Visionen“. „Re-Visionist“ der MusikFoto: Velizar Vesov
Schnebel komponiert nun nicht mehr die Momente der Musikausübung, sondern Musikgeschichte. Neben symphonischen Dichtungen wie „Eros/Thanatos“ und der großen „Dahlemer Messe“ ist die „Sinfonie X“ Beispiel für den neueren Monumentalstil. Überflüssig zu erwähnen, daß eine Oper vor der Vollendung steht.
Dieter Schnebel, der heute 65 wird und seine Professur an der Hochschule der Künste aufgibt, wird sich nun wohl ganz dem Komponieren widmen. Wir wünschen ihm und uns, daß die „Gärung des Materials“ in Gang bleibt – den Musen zur Freude, den Musikern zur Einsicht, uns, dem Publikum, zum Gewinn. Frank Hilberg
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