Gemeinsam sind wir stark beim Sparen

Eine schwarze und eine grüne Bürgermeisterin regieren Rüsselsheim trotz geplatzter Koalition gemeinsam  ■ Von Heide Platen

Daß „die Mädels“ sehr beliebt bei der Bevölkerung sind, das sagen viele RüsselsheimerInnen. Bei ihren eigenen Parteien ecken Oberbürgermeisterin Otti Geschka (CDU) und Bürgermeisterin Gabi Klug (Bündnis 90/Die Grünen) hin und wieder kräftig an. Aber untereinander, das versichern beide, „stimmt die Chemie“. Und deshalb wollen sie die Opelstadt am Main auch weiter regieren, obwohl ihr buntes Bündnis im Rathaus gerade geplatzt ist.

Der Grund: Die Fraktionen konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Haushaltsentwurf einigen. Otti Geschka, die ehemalige hessische Frauenbeauftragte, will, daß der Rüsselsheimer Stadtrat einen Sparhaushalt ausarbeitet, egal in welcher Parteienkonstellation. Wenn diese „Koalition der Vernunft“ nicht zustande kommt, droht Geschka nun, werde sie den Darmstädter Regierungspräsidenten, obere Instanz für die Kontrolle der kommunalen Finanzen, mit dem Sparen beauftragen.

Das sei sie, sagt die im Sommer 1993 direkt gewählte Kandidatin, den WählerInnen schuldig gewesen. Die hatten gegen den Jahrzehnte ineinander verwobenen Filz der Sozialdemokratie gestimmt: „Sie haben mit mir einfach das andere gewählt.“ Gabriele Klug, die Grüne, die auf andere Art das „andere“ Rüsselsheim repräsentiert, weiß sie dabei an ihrer Seite.

Die „beiden Mädels“ übernahmen einen gefährdeten Stadt- Haushalt. Mit großzügigen Investitionen hatte der SPD-Magistrat auf die „Wendespitze“, das letzte kräftige Umsatzhoch der Opel AG in den Jahren 1989 und 1990, reagiert. Das alte Rathaus wurde renoviert und mit einem Anbau versehen, dessen kaum genutzter Sitzungssaal samt weißem Marmor allein 25 Millionen Mark verschlang. Die Feuerwache für den Ort mit 60.000 Einwohnern, sagt eine Kritikerin, sei „so groß wie die von Stuttgart“ geraten.

Geschka ließ eine Graphik anfertigen, die die Lage deutlich macht. Da ist die „Opel-Spitze“, die das Stadtsäckel mit Gewerbesteuern prall anfüllte, um dann aber wieder steil nach unten zu sinken. Und da sind die Ausgaben der Stadt, die seither in luftigen Höhen verharren. Das paßt ganz offensichtlich nicht zusammen. Das Blatt, meint sie, sollten alle Stadtverordneten, einschließlich die der eigenen Fraktion, ganz oben auf ihren Unterlagen haben, statt es „am liebsten in der untersten Schublade zu verstecken“.

Die Arbeiterstadt Rüsselsheim wirkt, wie viele der von der SPD in der Nachkriegszeit geprägten Städte, architektonisch zerrissen: Betonschluchten, eine zerfasernde Innenstadt ohne Kern, breite Straßen und Plätze, die eigentlich keine sind. In Rüsselsheim, stellte Geschka fest, werde, ganz im Gegensatz zur südhessisch eher leichten Lebensart, alles „bierernst“ genommen. Versorgungsmentalität habe sich breitgemacht, alles Öffentliche, alles Wichtige „regelt die Stadt“. Und auch das weniger Wichtige: Im städtischen Hallenbad gab es saubere Saunahandtücher kostenlos. Diese Sozialleistung hat die Stadt nunmehr mit Zustimmung auch der Sozialdemokratie kassiert und empfiehlt Eigeninitiative mit Hilfe der heimischen Waschmaschine.

1993 hatten die Rüsselsheimer WählerInnen ihrerseits Eigeninitiative gezeigt und dem Ort ein fast anarchisches Wahlergebnis beschert: Die SPD saß auf einmal in der Opposition, ihr gegenüber eine Koalition aus CDU, FDP und Grünen, und den beiden Listen „Rüssel“ und „f NEP“ („für NichtwählerInnen, ErstwählerInnen und ProstwählerInnen“). Rüssel ist Anziehungspunkt für junges Bildungsbürgertum, Künstler und Kulturbegeisterte, die eingefahrene Wege verlassen wollten, f NEP rekrutierte seine KandidatInnen aus einem Bauwagendorf am Ortsrand, dem die Vertreibung drohte. Sie stürmten mit gemeinsam fast 12 Prozent Wählerstimmen das Rathaus. f NEP verließ das Bündnis zum Jahresende 1994 wieder.

Geschkas zusammengewürfelter Haufen war eine der buntesten Koalitionen in bundesdeutschen Rathäusern. Das Experiment, stellt sie nun fest, „ist gescheitert“. Schwierigkeiten mit der Übereinkunft hatten die Beteiligten allerdings nicht erst beim diesjährigen Haushalt. Bereits im Vorfeld des Fünfer-Bündnisses hatten sich die Grünen heillos zerstritten. Sie waren mit sagenhaften elf Mandaten gewählt worden. Der Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen stimmte mit Mehrheit für die bunte Koalition mit Gabriele Klug als Bürgermeisterin und Kulturdezernentin. Dann aber stellten sich acht der Fraktionsmitglieder quer. Sie weigerten sich, mit „den Schwarzen“ zusammenzuarbeiten, warfen ihren drei KollegInnen vor, machtgierig zu sein, scherten aus und nennen sich seither nur noch „Die Grünen“.

Beim Streit um den Haushalt zieht sich Geschka auf die Hessische Gemeindeordnung zurück, nach der die direkt gewählte Bürgermeisterin nicht dem Parlament oder gar ihrer Fraktion, sondern der Verfassung und den BürgerInnen verantwortlich ist. Sie sehe ein, erklärt sie, daß dies „nach all den Jahren der OB-Wahl durch das Stadtparlament und den Abhängigkeiten, die dies mit sich bringt, gewöhnungsbedürftig ist“. Aber: „Es wird in Zukunft noch mehr wechselnde Mehrheiten geben als bisher.“

Geschka macht nicht den Eindruck, als ob es ausgerechnet die beiden publikumswirksamen Sparanträge der Liste „Rüssel“ waren, die sie besonders geärgert haben. Da war sie aufgefordert worden, ihren Dienstopel Omega gegen die kleine Zweitkutsche Corsa einzutauschen und statt der renovierungsbedürftigen Dienstvilla ein ungenutztes Haus am Bahnhof zu beziehen: „Durch die persönliche Anweseneit des OB in der Innenstadt wird die Absicht der Stadt, etwas für die Attraktivitätssteigerung der Innenstadt zu tun, untermauert.“

Rüssel hatte außerdem für Empfänge statt der Häppchen „Salzbrezeln mit Wasser“ vorgeschlagen. Sie habe nichts dagegen, kommentiert Geschka, auch im Kleinen zu sparen, wenn die große Linie stimme. Allerdings habe sie „die Quengelei satt und daß ich mich immer wieder den kleinen Fraktionen gegenüber rechtfertigen soll. Auch Politiker sind nicht mit einer Elefantenhaut auf die Welt gekommen.“

KritikerInnen werfen ihr vor, sie sei selbstherrlich, wolle die Alleinherrschaft oder sei einfach „nur beleidigt“. Geschka grollte zurück, wenn das Parlament kein Einsehen habe, werde sie eben den Darmstädter Regierungspräsidenten mit den Stadtfinanzen befassen. Dann, so eine Lokalzeitung, „haben sich Rüsselsheims Stadtverordnete selbst ausgetrickst“.

Und das wohl schon im Vorfeld, denn SPD, die abgespaltenen Grünen und f NEP haben im Februar zum Halali auf den Sparhaushalt geblasen, den sie einen „Kahlschlag“ für Jugend, Kultur und Soziales nannten. Sie handelten untereinander eine Alternative aus, die sie nun mit Mehrheit gegen die Bürgermeisterin einbringen wollen.

Aus der parteiübergreifenden Fülle der Anträge, die gerade nicht sparen, sondern ausgeben wollen, ragen bisher vor allem die der Sozialdemokraten hervor, deren Klientel von der Feuerwehr über die Alten bis zu den zahlreichen Vereinen gegeben statt genommen werden soll. Sparwillig zeigt sich die SPD vor allem da, wo sie ihren politischen Gegner trifft, zum Beispiel beim Ressort Öffentlichkeitsarbeit der Oberbürgermeisterin.

Zu den Begehrlichkeiten der Parteien gehören auch das ehemalige Kasernengelände der US- Army und eine freiwerdende Villa, die öffentlich genutzt werden sollen. Kunst hin, Kultur und Soziales her: Geschka ihrerseits denkt da viel lieber über Verpachten, Vermieten, Verkaufen und Investorensuchen nach. Investitionen mit Folgekosten werde sie konsequent ablehnen.

Und soziale Dienstleistungen sollen, wo irgend möglich, kostendeckend sein. Der vorherige Magistrat war für Geschka eigentlich „der verlängerte Betriebsrat von Opel“, der Segnungen mit der Gießkanne verteilte. So arm und bedürftig, wie sie von ihren Oberen gemacht wurden, seien die Rüsselsheimer gar nicht. Da müsse es doch möglich sein, den realen Bedarf zu prüfen. Damit wäre die resolute CDU-Frau, wenn auch später ins Amt gekommen, auf einer Linie mit dem Offenbacher Sparbürgermeister Grandke und dem grünen Frankfurter Stadtkämmerer Tom Koenigs, deren Versuche, ihre verschuldeten Städte zu sanieren, eher mit mehr als mit weniger Wählerstimmen honoriert wurden.

Gabriele Klug hat als Kulturdezernentin keinen Platz im neuen Rathaus. Ihr Büro ist in der Stadtbücherei untergebracht. So hart wie in Frankfurt und Offenbach, findet sie, müsse nicht zusammengestrichen werden. Sie favorisiert eine sanfte Lösung, sinnvolle Umschichtung von Arbeitsplätzen und Geld, eine effiziente Verwaltungsreform, ehrenamtliche Bürgerbeteiligung und Nachbarschaftshilfe.

Der Nachbarschaftsgedanke sei in der traditionell sozialdemokratischen Stadt in einigen Stadtteilen noch erhalten, und an den könne angeknüpft werden. Dies könne neue „Zeichen von Leben in der Gemeinde“ setzen: „Wir müssen runter von dem Ruf, daß Rüsselsheim eine graue, zugemauerte Mief- und Muffstadt der 50er Jahre ist.“ Begeistert ist sie von den zahlreichen Initiativen der Kulturinteressierten mit „unglaublicher Kreativität“. Wohl deshalb hält sie Anträge der Liste Rüssel eher aus als Otti Geschka.

Und immer wieder versichern die beiden Frauen unabhängig voneinander, daß sie weiter zusammenarbeiten werden. Geschka: „Es gibt wirklich keine Probleme.“ Doch daß auch das schwarz-grüne Frauenbündnis nicht ganz unbelastet ist und nicht nur die politische Meinung, sondern auch das Milieu nicht immer kompatibel ist, zeigt ausgerechnet der Konflikt um ein Gemälde. Bis vor zwei Wochen hing es da, wo Geschka sich „als Hausherrin“ versteht. Das Bild des Malers Hans Diebschlag „Wir lieben das Marschieren“ wanderte auf ihre Anweisung vom alten Rathaussaal in den Fundus. Gabriele Klug hatte in ihrer Eigenschaft als Kulturdezernentin für den Verbleib des Bildes plädiert.

Es zeigt in buntem Neorealismus Karnevalsgarden genau an jener Stelle der Stadt, an der die Einwohner 1944 gefangene kanadische Flieger lynchten. Karnevalsvereine und CDU-Politiker fühlten sich düpiert. Die Grünen werden jetzt die Gerichte bemühen, denn der Ausstellungsort Rathaussaal sei Teil des Kunstwerkes und dem Maler vertraglich zugesichert worden. Und prompt nutzten die abgespaltenen VertreterInnen der Ökopartei die neue Kontroverse, um ihre offizielle und ungeliebte Vertreterin Klug wieder einmal zum Rücktritt aufzufordern.

Die Kulturdezernentin indes sieht die Streitereien der Grünen untereinander, wie auch die der anderen Parteien, gelassen als einen produktiven Generationskonflikt: Der könne als „Kampf jeder gegen jeden“ interpretiert werden, genausogut aber auch als „ein spannender Prozeß: Die Milieus von Arbeiterbildungsbewußtsein bis Avantgarde prallen aufeinander und befruchten sich gegenseitig.“