Warten auf den großen Schwung

■ Die Wüste lebt (1) – eine Bestandsaufnahme der Bremer Kulturlandschaft/ Heute: die Museen

“Wir haben wahnsinniges Glück“, schwärmte Thomas Deecke: neue Köpfe in allen großen Bremer Museen, zumal noch relativ junge Gesichter – eine historische Stunde für die heimische Kulturlandschaft. Das war 1991, kurz vor der Eröffnung des Neuen Museums Weserburg, dem Deecke seither vorsteht. Heute spricht seine Kollegin Martina Rudloff, Chefin des Gerhard-Marcks-Hauses, lieber von einer „Notgemeinschaft“ der neuen Museumsleute. Der städtische Etat für Ausstellungen und Ankäufe liegt unverändert bei null Mark; vor allem läßt sich mit den angeschimmelten Museumsbauten kein Staat machen. Kurz vor den Kommunalwahlen stellt sich die Frage: Was ist in den Notzeiten von der Aufbruchsstimmung der Museen noch spürbar? Was ist, allen Unbilden zum Trotz, noch machbar gewesen? Wo segelt die Notgemeinschaft derzeit eigentlich lang – und: Wer hilft mit beim Rudern?

Von einem großen Schwung ist in der Museumslandschaft jedenfalls wenig zu spüren. Als Hindernis wirkt für die junge Garde vor allem der – nach wie vor maladige – bauliche Zustand der Häuser. Für ihre qualitätvollen Sammlungen sind die Kunsthalle und das Überseemuseum zwar überregional bekannt – aber in den gammeligen Gängen und verstaubten Vitrinen der angejahrten Bauten macht sich das Kulturgut eben nur halb so gut.

An einer hübscheren Verpackung wird daher allenthalben gebastelt. Sanierungen stehen in fast allen großen Museen an. Aus dem Foyer des Überseemuseums werden gerade die Reste des 70er-Jahre-Muffs gekehrt; bis zur 100-Jahr-Feier im nächsten Frühjahr soll alles licht und weit werden. Auch ist, nach langem Bangen, endlich eine Lösung für das verlotterte Magazin gefunden: Spätestens 1997 soll die neue „gläserne Studiensammlung“ fertig sein und dann ein Drittel der Magazinschätze zeigen. Im Fockemuseum wird im April mit der Erneuerung des Hauptgebäudes begonnen; in zwei Jahren werden die Bremer dann vielleicht ein architektonisches Schmuckstück ihrer Stadt wiederentdecken können. In seiner jetzigen Gestalt ist der Bau, ein 60er-Jahre-Kunstwerk aus Glas, Natur- und Kunststein, jedenfalls ein jammervoller Anblick. Und nicht gerade einladend für eventuell interessiertes Publikum.

Wie lange Direktor Jörn Christiansen, aber auch Kollegin Viola König vom Überseemuseum auf die bauliche Erneuerung haben warten müssen – das ist schon ziemlich beschämend. Vielleicht zeigt sich hier der feine Unterschied zwischen den staatlich eng angebundenen Museen und den privat getragenen Häusern: Während das Landesmuseum Mal um Mal vom Senat vertröstet wurde und Christiansen die Folgen des öffentlichen Sparhaushalts ausbaden mußte, gelang der privaten Gerhard-Marcks-Stiftung 1991 eine beispielhafte Sanierung. Chefin Martina Rudloff bekam dafür erstmals sogar Förderung vom Bund. Je 900.000 Mark flossen aus dem Innenministerium und dem Landeshaushalt; 600.000 Mark brachte der Freundeskreis des Hauses auf. Eine Anstrengung, sagt Rudloff, die sich ausgezahlt hat. 30.000 Besucher im Jahr sind für das „kleine, aber feine Museum“ in der Tat eine gute Zahl. Nun versucht die Kunsthalle ein ähnliches Kunststück. Allerdings: Hier müssen stolze sieben Millionen Mark an privatem Sanierungsgeld zusammengetrommelt werden. Unkonventionellen Werbeideen helfen dabei: Flugreisen und andere nette Preise werden unter den Spendern verlost. Solche Eigeninitiative ist löblich. Aber sie ist auch vonnöten – wenn die Museumsleute nicht ewig in ihren alten Kästen hocken bleiben wollen.

Aber auf die Wirkung einer hübschen, neuen Verpackung allein dürfen sich die Museumsleute nicht verlassen. Die Kunstvermittler müssen auch Verkaufskünstler werden, in eigener Sache.

Und da möcht's schon ein wenig mehr Phantasie sein. Mit ein wenig Flaggenwerbung vorm Bahnhof und Plakaten im Umland dürfte die Weserburg kaum wesentlich mehr Publikum gewinnen. Und das wäre wirklich dringend nötig. Dreieinhalb Jahre nach der Eröffnung sind hier die Hallen meist brechend leer – und die wenigen Gäste wundern sich, warum ein Haus voller Kostbarkeiten der zeitgenössischen Kunst so wenig bekannt ist. An der Sturheit der Bremer, die den weiten Weg in die Neustadt scheuen, und an der leeren Stadtkasse liegt's vielleicht ja nicht allein.

Allerdings: Der Rummel, den die Kunsthalle zuletzt veranstalten ließ, um ihre „Toulouse-Lautrec“-Schau zu verkaufen – der darf nicht zum Maßstab für die übrigen Museumsleute werden. Während der Werbekampagne sahen sich die Bremer regelrecht umzingelt von Männern mit rotem Schal und Toulouse-Lautrec-Lookalikes. Auf wandelnde Horst-Antes-Plastiken oder allgegenwärtige Richard-Long-Steinkreise kann das Stadtbild wahrscheinlich schadlos verzichten, und die Kunst ebenso.

Mit ein wenig Kaufmannssinn der professionellen Kultur-Agenturen aber wäre für die Museumsleute schon viel gewonnen. Zaghaft wird jetzt über die zuvor belächelten „Museums-Shops“ nachgedacht. Auch, daß sich eine freundliche Bewirtung auf die Gunst des Publikums auswirkt, spricht sich langsam herum. Wenn das Überseemuseum jetzt sein Foyer umkrempelt, dann wird gleichzeitig über einen attraktiven Verkaufsstand nachgedacht – und darüber, wie man diesen verpachten kann, am besten samt des aufgeppten Museumslokals und der Veranstaltungssäle.

So wird in private Hände gegeben, was mit dem schwindenden Museumspersonal ohnedies nicht mehr zu leisten ist. Und die Notgemeinschaft der Museen ist eine kleine Sorge los. Von solchen Ideen bräuchte es mehr, damit die Bremer Kulturhäuser künftig besser dastehen und ihre Kostbarkeiten wirklich angemessen präsentieren können – in einem attraktiveren Rahmen, und vor mehr Publikum. Auf die Kraft des Kommerzes und der privaten Förderer allein kann sich eine solche Initiative freilich nicht gründen. „Die Freundeskreise geben gerne“, sagt Martina Rudloff, „aber sie geben gerne was obendrauf“ – nämlich: sobald der Staat wenigstens einen Sockelbeitrag leistet. Wenn aus dem Personalwechsel in den Museen wirklich so etwas wie Aufbruchsstimmung werden soll, dann muß sich auch der Senat mit in die Riemen legen.

Thomas Wolff