■ Blauhelme und Bundeswehr – Positionen der SPD
: Nichts über Peacekeeping hinaus

taz: Herr Verheugen, wann ist für die SPD die Schmerzgrenze bei Bundeswehreinsätzen außerhalb des Nato-Gebietes erreicht?

Günter Verheugen: Die Schmerzgrenze ist ganz klar: die Bundeswehr darf Peacekeeping- Aufträge für die Vereinten Nationen übernehmen. Alles, was darüber hinausgeht, ist mit der SPD nicht zu machen. Das heißt, Peace- enforcement, also Friedenserzwingung – das ist ja ein Euphemismus für Krieg –, oder gar ein Krieg mit UN-Mandat wie am Golf ist mit uns nicht zu machen. Es gibt auch keinen Grund, von dieser Haltung abzugehen. Die heutige Weltlage gebietet es ja geradezu, die militärischen Einsatzmöglichkeiten einzuschränken, statt sie zu erweitern.

Obwohl sich die Lage in Kroatien ja kurzfristig erst einmal zu entspannen scheint, wüßten wir doch ganz gern, ob denn ein Nato- Einsatz, wie er geplant wurde, inklusive deutscher Tornados, nach Definition der SPD noch unter Peacekeeping fällt?

Prinzipiell halte ich eine Sicherung des Rückzugs für einen Bestand des Peacekeeping-Auftrags. Die SPD hat bei der Abzugsplanung der Nato aber keineswegs alle Elemente akzeptiert. Den vorgesehenen Einsatz der Tornados halten wir für hochproblematisch.

Bräuchte die Nato für einen Einsatz zur Rückzugssicherung ein Mandat der UNO?

Ganz klar ja. Die Nato kann nicht aus eigenem Recht irgendwo auf der Welt tätig werden, wenn sie sich nicht auf das Recht zur kollektiven Selbstverteidigung stützt. Darum eben geht es im ehemaligen Jugoslawien nicht.

Welche Bundeswehrplanung ergibt sich eigentlich für die SPD aus ihrer Position zu Out-of-area- Einsätzen. Was macht ein SPD- Bundeskanzler 1998 mit 50.000 Mann Krisenreaktionskräften, die für Einsätze gedacht sind, gegen die die SPD sich ja strikt wendet?

Das ist tatsächlich ein Problem. Die Bundesregierung redet seit Jahren darüber, daß Deutschland mehr Verantwortung übernehmen müsse, tut aber nichts dafür. Verteidigungsminister Rühe hat keinerlei Vorkehrungen dafür getroffen, daß die Bundeswehr den UN bei ihrer elementaren Aufgabe, dem Peacekeeping, wirklich helfen kann. Dafür müßten Leute ausgebildet werden. Die Vorstellung, daß die Bundeswehr das ohne Vorbereitung kann, ist absurd.

Die Bundesregierung sollte sich bei unseren skandinavischen Nachbarn einmal umschauen. Dort werden die Teile der Streitkräfte, die für Peacekeeping vorgesehen sind, ganz besonders ausgebildet, viel stärker im Sinne einer polizeilichen Ausbildung, als dies bei Kampftruppen der Fall ist. Das muß auch so sein, weil der Peacekeeper ja nicht den Auftrag hat zu schießen, sondern im Gegenteil schießen vermeiden soll. Der muß eher diplomatische Fähigkeiten haben, um Eskalationen zu verhindern.

Meine Vorstellung ist seit langem, Blauhelme gesondert auszubilden – das könnte man sogar außerhalb der Bundeswehr machen –, um den Wunsch der UN zu erfüllen und deutsche Stand-by-Truppen für Peacekeeping auf Dauer bereitzustellen. Die Bundesregierung hat den Wunsch des UN-Generalsekretärs nach Stand-by-Forces ja interessanterweise abgelehnt. Rühes Vorstellung, die Blauhelme aus den Krisenreaktionskräften zu nehmen, ist außerordentlich gefährlich, weil die ja gerade für ganz andere Einsätze ausgebildet werden. Es sollte eine Zahl von Soldaten, auf die man sich noch einigen muß, keine Wehrpflichtigen, in einer Peacekeeping-Schule ausgebildet werden und ständig der UNO zur Verfügung stehen, wobei über deren Einsatz in jedem Einzelfall eine Parlamentsentscheidung nötig ist.

Warum unternimmt die SPD dann nichts, um eine solche Vorstellung durchzusetzen und den Umbau der Bundeswehr in Krisenreaktionskräfte zu verhindern? Warum gibt es keinen Gesetzentwurf der SPD, der den großen Spielraum, den das Verfassungsgericht rechtlich geschaffen hat, politisch wieder eingrenzt?

Man könnte an ein Entsendegesetz denken, in dem festgeschrieben wird, daß die Bundeswehr außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung nur zu Peacekeeping unter der Führung der UNO eingesetzt wird – das ist vielleicht auch sinnvoll, um die Position der SPD zu verdeutlichen. Aber keine falschen Hoffnungen! CDU/CSU und FDP werden nicht bereit sein, uns da auch nur einen Millimeter entgegenzukommen. Die Koalition denkt ja, daß sie mit dem Verfassungsgerichtsurteil das erstritten hat, was sie schon immer wollte. Die leben ja ohne Gesetz ganz wunderbar. Eine solche Initiative würde allerdings die Konfliktlinien verdeutlichen.

Es wäre auch eine Selbstverpflichtung der SPD. Sind Sie sicher, daß alle wichtigen Außen- und Sicherheitspolitiker Ihrer Partei diese Linie unterstützen und sich ihre Optionen, so die SPD an die Regierung kommen sollte, im Vorfeld eingrenzen würden?

Ich habe keinen Anlaß, daran zu zweifeln. Natürlich gibt es Leute in der Partei, denen der Blauhelm- Beschluß bereits zu weit geht, und solche, denen er zu eng ist. Trotzdem wird niemand an dem Kompromiß rühren wollen, der nach meiner Überzeugung ja nicht nur den Interessen der Partei, sondern auch Deutschlands, Europas und der Vereinten Nationen entspricht. Es ist nicht so, daß man in der Welt darauf wartet, daß deutsche Soldaten mit einem Kampfauftrag irgendwo erscheinen. Was die Welt erwartet, ist, daß Deutschland sich entschieden an der Bekämpfung von Konfliktursachen beteiligt, auch im zivilen Bereich.

Wenn wir wirklich Verantwortung wahrnehmen wollen, können wir unendlich viel tun, bevor wir auch nur an die Entsendung eines einzigen Soldaten zu denken brauchen. Ich sehe in dieser Frage keinen Revisionsbedarf, und ich würde meiner Partei auch nicht raten, mühsam erarbeitete Positionen zu verlassen.

Was würde ein SPD-Bundeskanzler also 1998 mit einer auf Krisenreaktionskräfte getrimmten Bundeswehr machen?

Das ist deshalb eine ganz unangenehme Perspektive, weil man der Bundeswehr ja nicht alle paar Jahre eine grundsätzliche Umstrukturierung zumuten kann. Wir haben ja jetzt bereits eine dritte Nachbesserung der Standortplanung. Das Hauptproblem ist aber noch ein anderes. Die Krisenreaktionskräfte sind integrierte Streitkräfte der Nato. Da kann man nach einem Regierungswechsel nicht einfach wieder aussteigen. Damit ist ein ganz grundsätzliches Problem verbunden. Für mich ist es absolut zwingend, daß wir nicht wieder zu nationalen deutschen Streitkräften zurückkehren. Das ist eine absolute Voraussetzung für Frieden und Stabilität in Europa. Wenn jetzt aber die Nato beginnt, sich Aufgaben zu suchen, die jenseits des bisherigen Bündniszwecks liegen, dann entsteht ein riesiges Problem.

Wird die SPD klarstellen, daß man eine Veränderung des Nato- Vertrages in dem Sinne, daß Out- of-area-Einsätze zur Regel werden, nicht mitmachen wird?

Ja, das haben wir bereits getan. Die Nato hat ihre Existenzberechtigung als Verteidigungsbündnis in Europa, darauf können wir nicht verzichten. Es ist überhaupt nicht notwendig, daß sie sich krampfhaft neue Aufgaben sucht. Die Nato ist auch nach internationalem Recht ohne UNO-Mandat nicht legitimiert, mehr zu tun. Das ergibt sich schon aus der Charta der Vereinten Nationen.

Um nicht später unter Druck der Bündnispartner zu kommen, müßte die Bundesregierung in Brüssel jetzt klarmachen, daß die Bundeswehr für weltweite Kampfaufträge nicht zur Verfügung steht. Ich glaube auch, daß die Nato an einer Ausweitung, die weit über den Verteidigungsauftrag hinausgeht, letztlich zerbrechen würde.

Das Gegenargument verweist auf dieselbe Konsequenz. Wenn die Nato nach Verlust des gemeinsamen Feindes keine neue Existenzgrundlage zugewiesen bekommt, wird sie auseinanderdriften. Nur zur Einbindung der Deutschen ist es vielleicht doch ein zu großer Aufwand.

Aber der Zweck der Nato ist doch gar nicht überholt. Anders ist doch gar nicht zu erklären, warum die Osteuropäer alle Nato-Mitglieder werden wollen. Die wollen das doch nicht deshalb werden, um im Rahmen der Nato Blauhelme in die Welt zu schicken. Kollektiver Schutz in Europa, so empfinden sie, ist notwendig. Solange die Entwicklung in Europa so unklar ist wie jetzt, stimme ich dem auch zu. Dagegen die angebliche oder tatsächliche Gefahr des islamischen Fundamentalismus mit der Nato bekämpfen zu wollen, halte ich, gelinde gesagt, für sehr fragwürdig. Wenn Kollege Protzner, Generalsekretär der CSU, zur Begründung für die Einrichtung neuer Tieffluggebiete angibt, die Piloten müßten die Bekämpfung des Fundamentalismus in Algier üben, tritt hier eine geistige Verwirrung zutage, die man einfach nicht mehr dulden darf.

Wollen Sie denn eine Osterweiterung der Nato?

Ich hatte immer die Vision, ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem unter Einschluß Rußlands könnte möglich werden. Die Entwicklung geht zwar nicht in diese Richtung, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf. Eine Osterweiterung der Nato verlangt sicherheitspolitische Kooperation mit Rußland, die ausschließt, daß es zu einer neuen Blockgrenze in Europa kommt. Interview: Jürgen Gottschlich