Sein oder mein, das ist hier die Frage

In Frankreichs Präsidentschaftswahlkampf überbieten sich die Kandidaten in Bekenntnissen finanzieller Erfolglosigkeit / Balladur spielt Aschenputtel, Millionär Chirac ist fein heraus  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Sage uns, was du hast und wir sagen dir, ob du wählbar bist – entsprechend dieser Regel hat in den vergangenen Tagen ein französischer Präsidentschaftskandidat nach dem anderen sein Vermögen offengelegt. Als letzter tat es am Montag der gegenwärtige Favorit im Rennen um das höchste Amt im Staat, Jacques Chirac. Der gegenwärtige Bürgermeister von Paris und langjährige Vorsitzende der neogaullistischen Partei RPR verfügt nach eigenen Angaben über 7,2 Millionen Francs (ca. 2 Millionen Mark). Glaubt man dies, ist Chirac dreimal weniger vermögend als sein Hauptkontrahent, Premierminister Edouard Balladur, der ebenfalls aus der RPR kommt. Angefangen hatte die Offenbarungswelle bereits vor Monaten, als der rechtsnationale Politiker Philippe de Villiers das konservative Regierungslager verließ, um seine eigene Wahlkampftruppe, die antieuropäische „Mouvement pour la France“, zu gründen.

Mit beißender Schärfe prangert der 45jährige adelige Saubermann die Bestechlichkeit an, und bohrt tiefer als jeder andere Vertreter des konservativen Establishments in den Affairen seiner Politikerkollegen, an denen kein Mangel herrscht: Landesweit laufen Verfahren gegen konservative und sozialistische Politiker, die Spitzen des französischen Managements stehen vor dem Kadi, und drei Minister der konservativen Regierung mußten im vergangenen Jahr zurücktreten. Einer von ihnen, Alain Carignon, sitzt seit Monaten im Gefängnis. De Villiers, der bei den Europawahlen des letzten Jahres mit seinem „Kampf für die Werte“ über 12 Prozent der Stimmen bekommen hatte, setzt bei den Präsidentschaftswahlen auf seine eigene Integrität: Demonstrativ veröffentlichte der Adlige sein Vermögen – dessen Winzigkeit allerdings nicht wenige Franzosen verblüffte.

Nie zuvor hatten Politiker in Frankreich derartige Enthüllungen über ihre Verhältnisse gemacht. Ihr Geld und ihr Privatleben waren sorgfältig geschützte Bereiche, die auch von Journalisten kaum angetastet wurden. Parlamentsabgeordnete und andere gewählte Volksvertreter mußten bislang lediglich vor einer internen Kommission Rechenschaft über ihr Vermögen ablegen – vor Amtsantritt und danach. Veröffentlicht wurden diese Daten nicht.

Die übrigen Präsidentschaftskandidaten hielten sich nach de Villiers Vorpreschen noch eine Weile vornehm zurück. Anstatt über ihr privates Geld zu sprechen, rechneten sie sich gegenseitig die öffentlichen Kosten ihrer Ideen vor. Dabei ergab sich, daß Jacques Chirac, der wie alle Kandidaten mit einem Programm angetreten ist, das die Lohnnebenkosten senken soll, der teuerste aller Präsidenten werden würde.

Doch dann kam Lionel Jospin. Der erst Anfang Februar nominierte Kandidat der Sozialistischen Partei machte kein Hehl aus seinen für einen langjährigen Berufspolitiker ungewöhnlichen Finanzverhältnissen. Er sei zwar Protestant, erklärte Jospin kokett, aber er genieße es, sein Geld auszugeben. Er habe keine Eigentumswohnung, keine Aktien und besitze keinen anderen Wert als seinen Renault 19 in Kabrioausführung. Diese Ausführungen machten mehr Furore als sein Programm.

Der Zweikampf zwischen Balladur und Chirac lief zu jenem Zeitpunkt bereits auf Hochtouren. Chirac beschimpfte seinen einstigen Freund als Verräter. Der Premierminister hingegen, der damals noch die Meinungsumfragen anführte, hielt sich – noch – an sein eigenes Vorhaben, einen „heiteren, positiven und optimistischen Wahlkampf“ zu führen. Seinen innerparteilichen Herausforderer würdigte er keiner Erwähnung – schon gar keiner namentlichen.

Inzwischen ist Balladurs Heiterkeit verflogen. Dazu hat in den vergangenen Wochen vor allem Balladurs wichtigster Unterstützer, Charles Pasqua, aktiv beigetragen. Auf das Konto des Innenministers gehen allein in den vergangenen Wochen eine innerfranzösische Abhöraffaire und die Veröffentlichung einer franko-amerikanischen Spionageaffaire. Schädlich für den Präsidentschaftskandidaten Balladur ist aber auch, daß er als Premierminister seine Regierung nicht mehr unter Kontrolle hat. Quer durch das Kabinett geht eine Spaltung zwischen Unterstützern der beiden verfeindeten RPR-Kandidaten, die die Regierung praktisch lahmlegt. Nicht einmal in der EU, die Frankreich gegenwärtig präsidiert, sind Fortschritte möglich – Balladurs Team wacht mit Argusaugen über Außenminister Alain Juppé, da dieser Chirac unterstützt.

Richtig dramatisch wurde es für Balladur, als er in der vergangenen Woche gezwungen wurde, seine Verhältnisse offenzulegen. Der Mann, dessen großbürgerliche Herkunft bekannt war, hatte den Franzosen – wenn auch nicht dem Fiskus – verheimlicht, daß er 1993, bei Antritt des Amtes als Premierminister 2,5 Millionen Francs (ca. 670.000 Mark) aus Aktienverkäufen verdient hat und zuvor jahrelang auf der Gehaltsliste seines einstigen Unternehmens stand, obwohl er längst Parlamentsabgeordneter war. Balladurs Flucht in die Aschenputtelrolle – „ein großer Teil meines Vermögens gehört meiner Frau“ – nutzte ihm nur wenig: Bei den nächsten Meinungsumfragen sackte er in den Keller.

Hauptgewinner davon war Chirac, der zwar Millionär ist, dessen Popularitätskurve jetzt aber steil ansteigt, und zu dem sich täglich neue Anhänger bekennen. Sie kommen nicht nur aus dem RPR- Lager, sondern neuerdings auch aus der Künstler-, Medien- und Modemacherszene, die sich einst um den Sozialisten François Mitterrand scharte. Chirac, der seit Monaten versucht, politisches Kapital aus dem sozialen Elend zu schlagen, gilt in diesen Kreisen heute als der „Mann des Volkes“.