Inge Buck liest aus den „Erinnerungen der Wanderschauspielerin Karoline Schulze-Kummerfeld“

Durch Sturm und Regen kämpften sie sich, reisten bei guter Kasse mit der Extrapost, bei Flaute mußte der Mistkarren oder ein Frachtschiff herhalten. Jeder Unbill der Landesfürsten und Kirchenherren waren die WanderschauspielerInnen des 18. Jahrhunderts ausgesetzt, hingen von deren gnädigen Spielerlaubnis ab. Der Kirchenkalender bestimmte die Reisezeit, während des Fastens durften sie nicht spielen.

An einem regnerischen Tag kurz nach Ostern im Jahre 1765 kommt die Wanderschauspielerin Karoline Schulze-Kummerfeld nach Bremen. „Die Einwohner sahen uns für Menschen an“, schreibt sie in ihren Lebenserinnerungen. „Es war eine Lust über die Straßen zu gehen, denn man sah lauter freundliche und leutselige Gesichter“. Die BremerInnen waren froh über die Theatergruppe in ihrer Stadt: Viele Jahre waren sie durch den Siebenjährigen Krieg vom Süden abgeschnitten gewesen, SchauspielerInnen hatten den gefährlichen Weg in den protestantischen Norden nicht gewagt. In Süddeutschland sicherten zudem die Landesfürsten den Gruppen ein Auskommen: Zu Namenstagen oder in langweiligen Zeiten spielten sie in deren Ländern und unterhielten die Gesellschaft.

Karoline Schulze-Kummerfeld spielte bereits mit drei Jahren im Familientheater ihrer Eltern. Sie war talentiert, ihr Vater unterrichtete Karoline in der Schauspielkunst und bezahlte von seiner knappen Gage noch Ballett- und Gesangsunterricht. „Ich habe meine Bildung auf dem Theater niemand zu verdanken, als mir selbst, meinem Fleiß, meinem Nachdenken und den guten Grundsätzen meines Vaters“, schreibt sie viele Jahre später. Die guten und religiösen Grundsätze retteten die selbstbewußte Frau oft aus schwierigen Lagen: Wenn ihre zahlreichen Verehrer sie bedrängen und sie „tugendhaft“ bleibt, wenn die Familie wiedereinmal alles Hab und Gut verpfänden mußte, und sich nur noch von Wasser und Salz ernähren konnte. „Hätte ich Böses tun wollen, wir hätten gewiß besser leben können“, weiß Schulze-Kummerfeld nach vielen entbehrungsreichen Jahren in kalten Dachstuben. Aber es ging immer wieder aufwärts, bedeutende Theatergruppen engagierten sie, wohlhabende GönnerInnen unterstützen die beeindruckende Schauspielerin. In Bremen sammelten „die Ersten der Stadt bei ihren Erholungsstunden in dem Ratsweinkeller“ täglich einige Dukaten für Schulze-Kummerfeld.

Die Erinnerungen von Schulze-Kummerfeld sind die einzigen geschriebenen Zeugnisse einer Schauspielerin im 18. Jahrhundert. Mit einfachen Worten, ohne Schnörkel beschreibt sie ihr Leben. Auf ihren ständigen Reisen ist sie von Wien über München und Frankfurt bis in die Schweiz und in den preußischen Norden gelangt. Als Frau von „niederem Stand“ nimmt sie regen Anteil am armseligen Leben der Bauern im kriegsverwüsteten Europa, beobachtet die Handwerker, Bürger und Adligen. „Mag so gerne Menschen sehen, wie sie sind“, schreibt Schulze-Kummerfeld und weiß, daß sie ihrer genauen Beobachtung ihre überzeugende Spielkunst zu verdanken hatte.

Die „Erinnerungen“ sind somit auch ein sozialkritisches Zeugnis Deutschlands kurz vor der französischen Revolution. Die aufklärerischen Gedanken eines G. E. Lessing saugt Schulze-Kummerfeld auf dem Theater auf und schreibt um 1800: „Heute leben wir in lichteren Zeiten.“ Zu ihren Lebzeiten konnte sie keinen Verleger für Werk finden. Die Bremer Theaterwissenschaftlerin Inge Buck stieß vor einigen Jahren auf ein Exemplar der „Erinnerungen“ von 1915 und war fasziniert von der starken und emanzipierten Frau. Buck sah die „Zeit gekommen, dieses Buch nochmal herauszugeben“. Sie hat es neu editiert und mit vielen nützlichen Hintergrundinformationen versehen. „Man sollte Vorlesungen daraus halten“, befand Schulze-Kummerfeld vor rund 200 Jahren. Das wird Inge Buck heute abend nachholen. Ulrike Fokken

Um 19.30 in der Buchhandlung Orlando, Contrescarpe 45