Bremer AlevitInnen wagten sich raus

■ Über 1000 demonstrierten gegen Massaker/ Die etwas andere muslimische Gemeinde

AlevitInnen sind ein bißchen anders. Anders als andere muslimische Gemeinden in Bremen. Das sah man gestern schon an ihrer Demo gegen die aktuellen Massaker an AlevitInnen in Istanbul: viele, viele Frauen marschierten mit. Zumindest im vorderen Teil des Zuges, wo die Mitglieder des „Alevitischen Kulturzentrums e.V.“ gingen. Hinten, bei den linksgerichteten Parteien, wieder nur Männer. An der Spitze jedoch zum Beispiel die Arzthelferin Yasmin Tut. Im Juli 1993 ist sie das erste Mal auf die Straße gegangen: Damals hatten islamische FundamentalistInnen 37 AlevitInnen in Sivas getötet. Die Polizei griff acht Stunden lang nicht ein. Seit damals organisieren sich die AlevitInnen in Deutschland: Mittlerweile gibt es rund 100 Vereine, einen davon in Bremen.

Diese Organisierung zeigte gestern erste Früchte: Schon zum Demo-Abmarsch am frühen Nachmittag kamen 600 Menschen nach Gröpelingen, zur Kundgebung am Abend in der City kamen rund 1.000 Menschen zusammen. Auf ihren Plakaten warfen sie der türkischen Regierung vor, mit jenen FundamentalistInnen und FaschistInnen zusammen zu arbeiten, die am Wochenende todbringende Anschläge auf alevitische Einrichtungen verübt haben. In der Folge sollen in Istanbul Polizei und Militär elf protestierende AlevitInnen erschossen haben.

Wer sind die AlevitInnen? Kurz gesagt: eine muslimische Glaubensgemeinschaft, zu der sowohl KurdInnen als auch TürkInnen gehören. Die AlevitInnen bilden in der Türkei neben den SunnitInnen eine Minderheit von 20 Prozent. Wobei die Bremer AlevitInnen gestern betonten, daß sie nicht gegen die SunnitInnen demonstrierten, sondern gegen die Scheindemokratie in der Türkei.

Religionsgeschichtlich gesehen sind die AlevitInnen eine Abspaltung der schiitischen MuslimInnen, sie verehren ebenfalls Ali, den Schwiegersohn des Propheten Mohammed. Sonst jedoch haben sie nichts gemeinsam. In Bremen bekennen sich etwa 5.000 Menschen als AlevitInnen, sagt das Alevitische Kulturzentrum, rechnet aber noch mit etwa 2.000 weiteren, die sich nicht öffentlich bekennen wollen, um Schikanen und Vorurteilen zu entgegehn.

Vorurteile, auch hier in Breemen? Klar, sagt Gemeindemitglied Kemal Tut. Er gab sich lange am Arbeitsplatz nicht als Alevit zu erkennen. Bis die türkisch-sunnitischen Kollegen witzelten: „Wenn dir Aleviten Essen vorsetzen, spucken sie vorher immer rein.“ Da hat er seinen Kollegen aber angefahren: „Und wie oft hast du in den letzten zwei Jahren meine Spucke gegessen?“ Der Kollege hatte das Vorurteil von seinem Hodscha gehört.

Es kursieren auch noch andere Vorurteile: Daß AlevitInnen statt zu beten eine Orgie feieren. Realer Hintergrund: Die AlevitInnen beten nicht nach Geschlechtern getrennt, sondern zusammen und im Kreis, einander zugewandt. „Gott ist in uns selbst drin,“ erklärt Derya Günkan (18), im Jugendvorstand des Vereins. Deshalb sei Toleranz das Wichtigste. Dazu gehöre auch die Gleichstellung von Mann und Frau. Sichtbar schon in der Besetzung des Vereinsvorstandes: sechs Frauen, vier Männer, und die erste Vorsitzende eine Frau, Yüksel Alptekin.

Als Ungläubige beschimpfen andere Moslems häufig die AlevitInnen. Denn die gehen nicht in die Moschee, höchstens in ein Gemeindezentrum, sie fasten nicht im Ramadan, befolgen nicht das Alkoholverbot... „Wir finden es wichtiger, Menschen zu respektieren, als Gott anzubeten“, sagt dazu Derya Günkan. Dazu komme ein demokratisches Grundverständnis. So könne man den religiösen Führer einer alevitischen Gemeinde, den Dede, durchaus kritisieren, einen Hodscha nie. Und so sagte die erste Vorsitzende, Yüksel Alptekin, gestern immer wieder in die Mikrophone der deutschen Presse: „Wir wollen in der Öffentlichkeit zeigen, daß es uns Aleviten gibt und daß wir gegen jegliche Unterdrückung von Menschen sind.“ cis