Dante daheim im Gemüseladen

Virtuoses No-Budget-Spiel mit Screwbällen aller Arten: „Clerks“ – Die Ladenhüter“  ■ Von Thomas Winkler

Als eines Morgens das Telefon klingelt, fällt Dante Hicks aus seinem Wandschrank mitten hinein in seine dreckige Wäsche. Und als das viereckige Kinnbärtchen die Socken aus dem Haufen fingert, ist klar, daß wir bei einer Studie der Generation X gelandet sind. Nur diesmal ist es kein „Singles“ oder „Reality Bites“, wo mit gitarrenlastiger Musik und zerfetzten Hosen notdürftig vertuscht wurde, daß mittelalte Werbeprofis in Hollywood auf der Suche nach einer Zielgruppe waren. Die 27.000 Dollar, die „Clerks“ kostete, finanzierte Autor und Regisseur Kevin Smith durch den Verkauf seiner Comicsammlung und die Überziehung seiner Kreditkarte. Vor- und nachmittags arbeitete Smith im „Quick Stop Convenience Store“ hinter der Theke, mittags schlief er, nachts drehte er im gleichen Laden den Film. Inzwischen hat „Clerks“ Preise in Cannes und beim Sundance Filmfestival gewonnen, so daß Smith vom Verleihvorschuß längst seine Comics zurückkaufen und sogar die Schauspieler bezahlen konnte.

Riecht nach Authentizität

Das riecht nach Authenzität und endet in sympathischem Diletantismus: Die Tonspur erweckt hin und wieder den Eindruck, sie sei mit der Pausentaste eines handelsüblichen Kassettenrekorders geschnitten; die Bilder sind oft grobkörnig, auch mal unscharf und schlecht ausgeleuchtet. Aber Smith hat ein Händchen für Screwbälle aller Art.

„Clerks“ spielt sich fast ausschließlich in einem typischen Gemischtwarenladen einer typischen amerikanischen Kleinstadt ab. Hinter den Theken des Grocery Store und der angeschlossenen Videothek stehen mit Dante und Randal zwei typische Twentysomethings. Dante nimmt sich und seinen Job ernst, Randal sieht alles nur mehr zynisch. Dante ist heute nur Vertretung und kümmert sich trotzdem rührend, Randal hat regulären Dienst und kümmert sich einen Dreck. „I'm not even supposed to be here“, bleibt Dante nur noch zu sagen, wenn wieder alles schiefgelaufen ist.

Antipodisch stehen sich mit Randal und Dante die beiden Klischees vom Twentysomething gegenüber: Eigentlich unversöhnlich und sich trotzdem prima ergänzend, nicht denkbar ohne den anderen, und doch die beiden Seelen ach! in einem Brustkorb. Auf der einen Seite der chronisch phlegmatische Dante, paralysiert durch Selbstmitleid und Gefühlsschwallungen, aber immerhin noch lebendig genug, wenigstens Träume zu haben. Auf der anderen der konsequent zynische Randal, der es sich in einer Ersatzwelt aus „Star Wars“, Comics und dem Leben seines Freundes faul eingerichtet hat. Beide sind durch ihre MacJobs markiert als Vertreter der Generation X wie Bäume nach einer Hundeprozession. „Sollte ich vielleicht doch wieder aufs College gehen?“ Da wird um so klarer: „I'm not even supposed to be here“.

Dante heißt wohl nicht umsonst so, wie er heißt. Auch Dante Alighieri fühlte in sich noch das jugendliche Sturmen und Drängen. Aber während dessen Leben noch eine existentielle Herausforderung war, ist Hicks' nur noch eine „Serie von depressiven Enden“, die dadurch abgefedert werden, daß einem in einer Kleinstadt in New Jersey eben schlicht nicht viel mehr passieren kann, als daß einen die Freundin sitzen läßt. Dante, dessen Nachname zu allem Überfluß auch noch „Provinzler, Landei“ bedeutet, hat eigentlich nur ein Problem, und das ist, daß ihn jemand anderes in dieses Leben herbestellt hat und er nicht allzu viel damit anzufangen weiß: „I'm not even supposed to be here“.

Das perfekte Dutzend suchen

Die Welt, wie sie sich exemplarisch abspielt in diesem Laden, mit den Beziehungen zwischen Dante und Randal und den Kunden, zwischen Dante und Dantes Freundin und Dantes Ex-Freundin, all die Verwirrungen, Irrungen, Intrigen, Mißverständnisse und Absurditäten, die Welt also besteht nur mehr aus Geschichten. Geschichten, die passieren, oder Geschichten, die erzählt werden. Es macht keinen Unterschied. Der Mann, der auf dem Ladenboden sitzend akribisch das Eierregal durchsucht, um sich das „perfekte Dutzend“ zusammenzustellen, ist ebenso wichtig oder unwichtig wie die vehement geführte Diskussion zwischen Dante und seiner Freundin, ob Fellatio nun schon als Sex zu gelten habe oder nicht. Und ob die Geschichte von dem Mann, der sich mit den Pornos von unterm Ladentisch auf dem Personalklo einschließt, eine Herzattacke erleidet und schließlich postmortal Geschlechtsverkehr hat, nun wirklich passiert, ob sie erzählt wird, ob sie wahr oder falsch oder richtig oder daneben ist, das ist alles egal – Hauptsache, es ist eine gute Geschichte. Auch darin ist „Clerks“ dem auf der Berlinale zu großem Publikumserfolg vorgestellten Doppelprogramm von Wayne Wang „Smoke„ / „Blue In The Face“ sehr ähnlich, nicht nur daß in beiden Entwürfen ein Krämerladen als Hintergrundfolie dient. Während in „Smoke“ allerdings eine längst verloren gegangene Heile Welt letztlich zum Ziel der ultimativen Familienzusammenführung beschworen wird, ist „Clerks“ ganz im tristen Hier und Jetzt mit der Beobachtung kleinstädtischer Realität beschäftigt, auch wenn diese, wie man so schön sagt, „parodistisch überzeichnet“wird.

Zwei weitere Filme hat Smith schon geschrieben und wird sie für große Produktionsfirmen realisieren. Für „Clerks“ aber, der einen Großteil seiner Faszination aus der unsauberen Oberfläche und der rüden Eleganz der Darstellung zieht, gilt zum Glück noch der erste Kommentar von Smith's Mutter: „Für diesen Müll hast du 27.000 Dollar ausgegeben?“

„Clerks“, Buch und Regie: Kevin Smith, Kamera: David Klein

Mit: Brian O'Halloran, Jeff Anderson, Marilyn Ghigliotti, Lisa Spoonauer USA 1994, 89 Min.