Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle

■ „Er kann meine Texte nicht lesen“: Müllers Berliner Ensemble ohne Zadek

Großer Andrang bei der Pressekonferenz des krisengeschüttelten Berliner Ensembles. Und dann war alles überraschend unspektakulär. Eine Woche nach der Vertragsauflösung des ehemaligen Mitdirektors Peter Zadek präsentierte sich das Rumpf-Direktorium mit angemessen gedämpftem Optimismus und doch erstaunlich selbstbewußt. Bedauerlich, aber unvermeidlich sei die Trennung von Zadek gewesen, sagte Heiner Müller und erklärte das sowohl künstlerisch als auch politisch.

Er schätze Zadek als Regisseur, der die bundesdeutsche Tradition des Literaturtheaters produktiv gestört habe, aber: „Er kann meine Texte nicht lesen.“ Der Dramatiker und Regisseur Müller, der Texte selbst als Material benutzt, zeigt sich plötzlich puristisch. Das BE sei von Brecht als Autorentheater gegründet worden, und so wolle man es zukünftig leiten. Das Scheitern des Ost-West-Fünferdirektoriums, dem zuletzt auch Peter Palitzsch, Fritz Marquardt und die Zadek-Schauspielerin Eva Mattes angehört hatten, sei „eine Spiegelung des Einigungsprozesses“, bei dem auf Neugierde enttäuschendes Unverständnis folge.

Die bescheidene Konsequenz, die das BE aus diesem Scheitern strukturell zieht, ließe sich als aufgeblasene Schrumpfung bezeichnen. Das heißt: Unter Müllers Leitung gehören dem Direktorium weiterhin auch Marquardt und Mattes an (Arbeitstitel: Mü- Mama), Palitzsch hingegen tritt zurück. Aber nicht allzuweit – er soll die Funktion eines „künstlerischen Beraters“ einnehmen. Der ehemalige Müller-Assistent Stephan Suschke wiederum soll die Direktoren „koordinieren“.

Eva Mattes ließ keinen Zweifel daran, wie sehr sie den Weggang von Zadek bedauert (was einen Journalisten dazu verleitete, sie versehentlich mit „Frau Zadek“ anzusprechen) und will auch zukünftig mit ihm arbeiten, aushäusig versteht sich. Ihr Verbleib am BE ist keine Herzens-, sondern eine Verstandesangelegenheit, da sie sich aus familiären Gründen Beständigkeit wünscht. Sie versteht sich als Mittlerin zum Ensemble und will mit Thomas Heise einen „Nachtclub“ einrichten, wo eine Art Beiprogramm „junger Talente“ präsentiert werden soll.

Müller kündigte für die nächste Spielzeit eine Müller- und für die darauffolgende eine Brecht-Spielzeit an – auf dieser Linie wolle man sich profilieren. Einar Schleef, dessen Bindung ans BE für Zadeks Kündigung den Ausschlag gegeben hat, wird im Gegenzug zwei Müller-Projekte inszenieren. Die unter Vierzig haben das Nachsehen: Thomas Heise, die größte derartige Potenz am Hause, ist 1995/96 lediglich für eine Inszenierung vorgesehen, Bronnens „Vatermord“ sinnigerweise. Petra Kohse