Schwarze Funkenmariechen

■ Zuckungen, Läuterungen, und zwischendrin die Liebe: Janet Jackson zum Auftakt der Deutschlandtour in Berlin

Auf den Konzertplakaten sieht sie sehr viel blasser aus. Mit ihren Korkenzieherlocken, den vier Armen und der auf Halbmast hängenden Pluderjeans wirkt Janet Jackson wie ein eigenartiges Konstrukt: Streetbeats kleine Schwester und sexuelle Offenbarung zugleich. Die gleiche Art Vermischung findet auch in den Videos statt. Dort räkeln sich zusammengehäkelte Posterbook-Teenager mit groberen Kerlen, die den Ziegenbart an der richtigen Stelle tragen. Man kichert, man kuschelt, man liebt sich.

Von ähnlichen Wünschen getrieben schwirren bald 6.000 überdurchschnittlich junge Menschen in der ausverkauften Deutschlandhalle umher. Grüppchenweise taxieren Mädchenbanden einzelne Männer oder lassen sich von einem der vielen Fernsehteams filmen, die zum Tourstart atmosphärische Bilder sammeln. Auch das scheint Teil der Inszenierung zu sein, die mit dem ersten Böllerschuß auf der Bühne über mehrere Monitorwände projiziert wird. Das Publikum kann sich bei der eigenen Begeisterung zusehen, der Applaus wird über Mikrofone rückübertragen, das Ganze bewegt sich in einer unendlich verkoppelten Enthusiasmusschleife.

Zwischen lauter Laserlichtern steht Janet Jackson mitsamt ihrem elektronischen Orchester, einem ältlichen Rockgitarristen, Trommlern und Tänzern zunächst für Minuten still, als müsse die Show erst an anderer Stelle eingeschaltet werden. Tatsächlich laufen Sounds, Gebärden, Gesten und die kurzatmig hüpfende Kieksstimme bruchlos wie eine Maschine an. Sie behält über weite Strecken die Oberhand. Manchmal klingt es zu overpowering – dann driften all die Funkbässe, Rhythmuspattern und sonstigen Synthie-Impulse Richtung Krautrock ab, und Janet singt in eine anschwellende Leere.

Das Programm wird der eigenen Hitbiografie entsprechend in Blöcken abgewickelt, am Ende von „What have you done for me lately“ reicht ein kurzer Fingerzeig, um den klobig stampfenden Beat abbrechen zu lassen, damit zu „Let‘s wait a while“ die Weichen für ein sanftes Glöckchenpiano und krause Stringarrangements gestellt werden können. Daß sich Janet Jackson am Ende der Show tief vor ihrem Musical Director verbeugt, deutet an, welchen Stellenwert Ordnung bei dieser Art von Tanzmusik einnimmt; Pausen entstehen trotz diverser Kostümwechsel keine.

Die Körper geraten im Tanz so durcheinander, daß der Star darin untertauchen kann. Die Choreografie setzt sich großteils aus modernem afrikanischem Volkstanz, seilsprungartigem Gehopse und Aerobic zusammen, mitunter geraten Elemente aus „Chorus Line“ oder „Sharifa!“ dazwischen. Irgendwann sind alle karnevalesk wie schwarze Funkenmariechen zum Mardi Grass angezogen – als sollte in der geturnten Ruhelosigkeit die Sambo-Culture in seiner athletischen Variante von Nike- Werbeclips und MTV parodiert werden. Meistens aber rennen alle eingeübt planlos über die Bühne, manchmal krabbelt man auch kollektiv als multikultureller Brady Bunch. Auf der Großleinwand werden derweil unspektakuläre Images durchgeklickt: New York bei Nacht, Davidoff-Männer am Strand, Mandelbrot-Bäume.

Dennoch ist die Rolle von Janet Jackson keineswegs nur als die einer netten Swingbeat-Schwester von nebenan angelegt. In eine erstaunliche Sexarchitektur gebettet, scheint sie vielmehr diverse Stauungen zu durchlaufen. Sie spannt die Schultern, rutscht mit ihren Händen an den Hüften entlang, greift sich in den Schritt und entlädt sich schließlich unter Zuckungen aus dem Becken heraus. Trotzdem fassen ihr Bruder Michael oder Madonna beherzter zu. Daß sie sich dann einen Schlipsträger aus dem Publikum zuführen läßt, dem sie die Hemdknöpfe verdreht, ist zwar gewagt, und wird doch mehr vollzogen als zelebriert.

Wo ihre beiden Vorbilder mit der Übertretung spielen, hat Janet Jackson längst Frieden mit allen Fragen zu Race und Gender gemacht. Probleme gehören als Formelemente zum Material der Unterhaltung, die sich nicht ums Selbst sorgen muß. Statt dessen wird wird noch in den Balladen diszipliniert gearbeitet – auch an der Verzweiflung: Plötzlich bricht sie minutenlang in Tränen aus, fährt sich nervös durchs Haar und schluchzt verängstigt ins Mikrofon. Jeden Moment scheint es, als müsse sie das Konzert abbrechen, als hätte sie der eigene Erfolg überrollt und einsam zurückgelassen. Doch wie in den simulierten Zusammenbrüchen von James Brown, zu denen er sich früher den Mantel reichen ließ, richtet sich auch Janet allein aus der Ohnmacht wieder auf, läßt das Publikum noch ein wenig den Schmerz genießen, und beendet die Qualen der verlorenen Seele mit einem traurigen stillen Summen. Sekunden später steht die ganze Mannschaft wieder in schwarzes Latex gewickelt auf der Bühne und defiliert zu den Stakkatoschlägen von „Rhythm Nation“ am Beat entlang. Harald Fricke

Nächste Termine: 16.03. Hamburg; 1.04. München; 11.04. Stuttgart; 13.04. Frankfurt; 15.04. Dortmund.