: Schluß mit Lila-Orange und Heintje!
■ Das Müttergenesungswerk bemüht sich um ein neues Image. Die Geschäftsführerin Elvira Freitag und die Pressesprecherin Andrea Dokter schildern, was sich verändert hat
taz: Unter einem Müttergenesungsheim stellen sich viele etwas ziemlich Altmodisches vor: ein Haus mit vielen Liegestühlen davor und einer strengen Heimleiterin, die darüber wacht, daß die Frauen ihren Mittagsschlaf halten. Das ist das Image aus den fünfziger, sechziger Jahren.
Elvira Freitag: Ich denke, das Klischee stimmt für diese Zeit. Damals gab es Frauen mit einer großen Gebärhäufigkeit, wie das so schön heißt. Die waren oft körperlich sehr angeschlagen, zum Teil schlecht ernährt, erholungsbedürftig in einem ganz anderen Sinn als heute. Damals haben wir beinahe Päppelkuren angeboten, in denen die Frauen einfach mal vier Wochen durchatmen konnten.
Was hat sich im Laufe der Jahre verändert?
Freitag: Heute stehen wir vor der Situation, daß Frauen aufgrund von Doppel- und Dreifachbelastungen in einer ganz anderen Streßsituation sind als früher. Die Mitarbeiterinnen haben von sich aus das Angebot entsprechend verändert. Heute sind die Kuren stärker medizinisch ausgerichtet. Außerdem ist der psychosoziale Teil, also zum Beispiel Gesprächskreise, ausgebaut worden.
Früher waren die Müttergenesungsheime für Mütter ohne Kinder. Warum sind heute die Mutter- Kind-Kuren dominierend?
Andrea Dokter: In den sechziger Jahren gab es drei Mutter- Kind-Heime. Inzwischen sind es 90 von 123.
Freitag: Diese Entwicklung ist die Antwort auf eine entsprechende Nachfrage. Es gab zunehmend alleinerziehende Frauen, die ihre Kinder nirgendwo lassen konnten. Zunehmend ist es aber auch so, daß die Kinder kränker geworden sind. Das entsprechende Angebot ist immer weiter ausgebaut worden. Wir haben da mittlerweile eine Doppelfunktion.
Ist das nicht problematisch? Das ursprüngliche Ziel war doch, daß Frauen eine Zeitlang die Familie und die entsprechende Verantwortung hinter sich lassen und sich auf ihre eigenen Bedürfnisse konzentrieren konnten.
Freitag: Aber viele Frauen wollen heute gar nicht ohne ihre Kinder wegfahren. Gerade in Familien mit ein oder zwei Kindern gibt es ein typisches Klammerverhalten.
Dokter: Außerdem ist es zunehmend schwerer, Kinder unterzubringen. Die Mobilitätsanforderungen steigen, und es gibt kaum noch jemanden, der bereit ist, ein fremdes Kind aufzunehmen und vier Wochen einfach mitlaufen zu lassen. Früher gab es vielleicht die beste Freundin, die das gemacht hat. Heute ist die Freundin selbst berufstätig und hat schon Schwierigkeiten, die Betreuung der eigenen Kinder zu regeln.
Freitag: Für viele Frauen geht es einfach darum: entweder mit Kind oder gar nicht.
Rein theoretisch könnten die Kinder doch parallel in Kinderheimen unterbracht werden?
Freitag: Es hat einen kontinuierlichen Abbau von Kinderheimplätzen gegeben. Das ist ein Bereich, der jetzt in die Müttergenesung sozusagen ausfranst. Manche Frau würde ein solches Angebot sicherlich nutzen. Gerade viele Frauen, die in der DDR aufgewachsen sind, haben die Erfahrung gemacht, daß sich ein Kind, auch wenn es noch kleiner ist, mal autonom bewegen kann. Aber die Möglichkeiten sind nicht so groß.
Wie würden Sie Ihre Zielsetzung definieren?
Freitag: Ich denke, wir machen ein gut Teil Frauenpolitik. Wir bieten eine Gesundheitsleistung für Frauen, die aufgrund gesellschaftlicher Bedingungen in Überlastungssituationen geraten, aus denen sie selber nicht herauskommen und für die es auch kein anderes Angebot gibt. Dadurch, daß wir gezielt Mütter ansprechen, ist das Angebot sehr niedrigschwellig.
Stichwort Frauenpolitik. Verbreiten Sie in den Häusern feministisches Gedankengut?
Freitag: Der Aufenthalt in einem unserer Häuser ist für viele Frauen das erste Mal, daß sie sich nur unter Frauen bewegen. Das ist eine wichtige Erfahrung, zu merken, daß die eigenen Probleme auch woanders vorhanden sind. Wir wollen Frauen helfen, stabiler und eigenständiger zu werden und die eigene Situation zu reflektieren und zu verändern. Insofern wollen wir auch Gesellschaft verändern.
Dokter: Bei 123 Kureinrichtungen gibt es natürlich nicht die eine Position oder die eine Linie.
Freitag: Wichtig ist zu sehen, daß diese Klischees, unter denen die Einrichtung „Müttergenesung“ immer gelitten hat, eine tendenziell kirchliche Einrichtung mit relativ traditionellen, konservativen Angeboten zu sein, daß das einfach nicht zutrifft.
Was unternehmen Sie, um dieses Image loszuwerden?
Freitag: Wir machen eine sehr moderne Öffentlichkeitsarbeit. Unsere Lila-Orange-Phase haben wir nun endlich hinter uns gelassen. Dummerweise haben wir das Problem, daß Beiträge über uns noch immer mit Vogelgezwitscher unterlegt werden. Ich bin im Fernsehen in die Situation geraten, daß ich zur Müttergenesung und der Situation von Frauen gefragt wurde, über Arbeitsmarktpolitik geredet habe, und anschließend trat dann Heintje auf und sang: „Ein Mutterherz soll niemals weinen“. Da wird es dann schwierig.
Interview: Sonja Schock
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen