piwik no script img

Wie die SPD sich in Frankfurt selbst austrickste: Weil ein SPD-Stadtverordneter Fango-Bäder nehmen ging, obsiegten die SPD-„Schweine“ bei der Dezernentenwahl und ließen die rot-grüne Koalition platzen. Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt

„Über uns lacht ganz Deutschland“

„Der Kalli soll das gewesen sein? Das darf doch nicht wahr sein!“ Ein Weggefährte von „Kalli“ aus den guten alten 68ern, der zu Startbahnzeiten von der SPD zu den Bündnisgrünen konvertierte, zeigte sich am Dienstagabend „entsetzt“.

Doch der „Kalli“ war's wirklich.

Karl-Heinz Berkemeier (60), Mitglied der SPD-Fraktion, fuhr am Dienstag morgen zur Kur in den italienischen Badeort Abano- Terme (Rheuma), obgleich es im Frankfurter Römer Spitz auf Knopf stand – am Abend zuvor hatte sich das Stadtparlament mit 45 zu 48 Stimmen gegen die grüne Frauen- und Gesundheitsdezernentin Margarethe Nimsch entschieden. Die drei Verräter – in Frankfurt nennt man sie nach einem Wort des Oberbürgermeisters Andreas von Schoeler „Schweine“ – werden in den Reihen der SPD vermutet. Die Bündnisgrünen hatten für diesen Fall gedroht, die Koalition platzen lassen. Sie sind gebrannte Kinder. Ende 93 hatten vier „Schweine“ aus der SPD den Grünen Lutz Sikorski bei der Dezernentenwahl durchfallen lassen.

Mit formaljuristschen Tricks war darum am Dienstag abend eine Wiederholung der Wahl arrangiert worden – die allerletzte Chance. Nur ein „Schwein“ stimmte diesmal noch gegen Nimsch. Wenn Berkemeier dagewesen wäre, dann hätte seine eine Stimme die Koalition gerettet.

Und Kalli fährt in Kur!

Da wollte sich SPD-Fraktionschef Günter Dürr „auf den Boden schmeißen“ vor Zorn: „eine Blamage“. Er hatte auf seine Kandidatur für den Magistrat verzichtet und dadurch den zweiten Wahlgang erst ermöglicht.

Mit einer Farce im Römer wurde am Dienstag der seit den Kommunalwahlen von 1989 in der Stadt Frankfurt am Main regierenden rot-grünen Koalition endgültig das Lebenslicht ausgeblasen. SPD und Bündnisgrüne hatten sich selbst ausgetrickst.

Für Oberbürgermeister Andreas von Schoeler war das am Dienstagabend Grund genug, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Er will sich vom Magistrat abwählen lassen und damit den Weg für die OB-Direktwahl freimachen – denn eine Neuwahl des ganzen Stadtparlaments ist in der hessischen Gemeindeverordnung nicht vorgesehen. Mit der Rückgabe seiner Amtskette hatte „Andy“ von Schoeler schon vor dem zweiten Wahlgang den drei „Schweinen“ vom Montag gedroht – ohne die „Sauerei“ (Bündnisgrüne) verhindern zu können.

Jetzt ist nicht die Zeit für Häme

Mit dem „Theater“ müsse jetzt Schluß sein, sagte von Schoeler nach der historischen Stadtverordnetensitzung. Es sei ein „Phänomen“, so der Noch-OB, daß einige wenige Stadtverordnete durch „Verrat am Wählervotum“ und durch „Heimlichkeiten“ die Politik in Frankfurt/Main hätten prägen können. Für seine Abwahl braucht von Schoeler eine Zweidrittelmehrheit gegen sich. CDU und Grüne haben ihm da bereits Unterstützung zugesagt.

Seine designierte Gegenkandidatin für die Urwahl, die bereits für Ende Juni 1995 avisiert wurde, die CDU-Kreisvorsitzende Petra Roth, bekundete ihren „Respekt“ für die Entscheidung des noch amtierenden OB: „Es ist jetzt nicht die Zeit für Häme.“ Noch am Dienstag morgen, nach dem gescheiterten ersten Wahlgang vom Montag, hatte die hessische CDU von Schoeler als „Pattex-OB“ bezeichnet und ihn zum Rücktritt aufgefordert.

Für die Bündnisgrünen erklärte Dany Cohn-Bendit die Koalition „faktisch für beendet“. Eine formelle Abstimmung darüber fand gestern abend (nach Redaktionsschluß) im Rahmen einer Kreisversammlung statt. Der Beschluß, aus der Koalition auszusteigen, falls eineR ihrer KandidatInnen für den Magistrat nicht wiedergewählt werden sollte, ist allerdings schon vier Wochen alt.

Während einige Bündnisgrüne von der Basis sagen, daß man den „Sozis“ nun „mindestens zehn Jahre Oppositionsbank“ verordnen müsse, damit sich diese Partei an Haupt und Gliedern wieder reformieren könne, sehen das die Exponenten der Partei anders.

Cohn-Bendit will, daß seine Partei den OB-Kandidaten Andreas von Schoeler im kommenden Wahlkampf unterstützt und auf einen eigenen Kandidaten verzichtet. Der Noch-Multikulturdezernent und Europaabgeordnete rechnet mit einer klaren Mehrheit für von Schoeler – „und mit einer eindrucksvollen Demonstration der vorhandenen Mehrheit für Rot-Grün in der Stadt“. Eine andere Stimme kam aus Bonn: Die Krise in Frankfurt könne „fatale Auswirkungen“ auf die generellen Perspektiven von Rot-Grün haben, sagte Joschka Fischer.

Als „denkbarer“ Kandidat der Bündnisgrünen für die OB-Direktwahl käme nur Stadtkämmerer und Umweltdezernent Tom Koenigs in Frage. Doch der hat bereits abgewunken. Nach der Farce vom Dienstag verhüllte der am Montag wiedergewählte Koenigs auf der „Regierungsbank“ sein Haupt mit einem Taschentuch. Immerhin: Wenn sie wollen, können die wiedergewählten Magistratsmitglieder die nächsten sechs Jahre im Amt bleiben, falls das Stadtparlament keine Zweidrittelmehrheit zu ihrer Abwahl zustande bringt – egal wer dann als OberbürgermeisterIn die Stadt an der Spitze repräsentiert.

Es sei denn, eine große Koalition würde die Bündnisgrünen aus dem Magistrat kicken und CDU- Dezernenten installieren. Doch dagegen haben sich sowohl Roth als auch von Schoeler ausgesprochen. Und mit den Reps will, kann und darf keine der demokratischen Fraktionen kooperieren. Egal wie diese OB-Direktwahl ausgeht: an den Mehrheitsverhältnissen im Stadtparlament (CDU 35, SPD 33, Grüne 15, Rep 10) wird sich bis zu den Kommunalwahlen im März 1997 nichts ändern.

Und Schwarz-Grün?

Weil auch Petra Roth, sollte sie die OB-Direktwahl gewinnen, mit dem unfertigen Magistrat aus Dezernenten der SPD und der Bündnisgrünen (Tom Koenigs und Schuldezernentin Jutta Ebeling) und mit diesem unberechenbaren Stadtparlament würde leben müssen, ist ihre Ankündigung, die CDU im Wahlkampf als „moderne Großstadtpartei“ präsentieren zu wollen, für einige Bündnisgrüne bereits ein erster, zaghafter Hinweis auf sich abzeichnende „neue Kooperationsmodelle“.

Der Kalli war doch immer ein Fan von Margarethe

SPD-Fraktionschef Günter Dürr – von dem nicht wenige Bündnisgrüne und auch linke Sozialdemokraten annehmen, er sei „das vierte Schwein“ gewesen, das Ende 1993 die Wahl von Sikorski zum Umweltdezernenten mit verhinderte – machte denn auch noch am Dienstag abend die Bündnisgrünen für das Debakel der Koalition mitverantwortlich: „Es gibt auch bei den Grünen Leute, die Rot-Grün nicht mehr wollen, weil sie grüne Standpunkte zu wenig repräsentiert sehen.“

Noch ist Petra Roth, die sich als Landtagsabgeordnete gerne als „Queen of the Highway“ ganz in schwarzem Leder präsentiert, etwa für Dany Cohn-Bendit ein rotes Tuch. Die CDU in Frankfurt, sagt er, sei „eine Kanther treu ergebene Truppe“. Und Roth, warnen die Vordenker der Bündnisgrünen vom „Frankfurter Kreis“, habe als Oberbürgermeisterin nur dann eine Überlebenschance, wenn sie mit der SPD im Rahmen einer großen Koalition zusammenarbeite.

Wie mag sich Berkemeier jetzt in seinen Fango-Bädern fühlen?

Daß er zur Schweinetruppe gehört, glaubt im Römer kein Mensch. „Kalli“ wird als „Linker“ apostrophiert. Seit 1968 sitzt Berkemeier im Stadtparlament. Ein alter Fuchs also, der als Journalist seit 25 Jahren für den „hr“ arbeitet. Blackout? Parlamentsmüdigkeit? Spekuliert über die Motive von „Kalli“ wurde bei allen Fraktionen heftig. „Kalli ist immer für die Koalition eingetreten.“ Für die grüne Stadtverordnete Rosemarie Oswald steht ebenfalls außer Zweifel, daß „Kalli“ für Nimsch gestimmt hätte: „Der war doch ein Fan von ihr.“ Eine Sozialdemokratin brachte es dann auf den Punkt: „Über uns lacht ganz Deutschland.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen