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Istanbul kommt nicht zur Ruhe

■ Nach den Polizeischüssen auf alawitische Demonstranten heftige Kritik an der Regierung / Neue Auseinandersetzungen in verschiedenen Stadtvierteln

Istanbul (taz) – Trotz der Ausgangssperre ist keine Ruhe in dem alawitischen Viertel der Millionenstadt Istanbul eingekehrt, wo am Montag ein Aufstand ausbrach, nachdem tags zuvor Anschläge auf alawitische Cafés verübt worden waren. Vor dem religiösen Zentrum der Alawiten, dem Cemevi, hatten sich gestern erneut Tausende Demonstranten versammelt. Sie forderten die Freigabe der Leichname und den Rückzug der Sicherheitskräfte während der Beerdigungszeremonie ebenso wie die Freilassung inhaftierter Alawiten. Mehrere hundert Alawiten seien noch vermißt, sagten Führer der Demonstranten.

Schätzungen zufolge sind in den vergangenen Tagen Dutzende Menschen getötet und Hunderte verletzt worden – die überwältigende Zahl durch Schüsse der Polizei auf Demonstranten. Dagegen spricht der türkische Innenminister Nahit Mentese von 15 Toten.

Die Polizei ist gänzlich aus dem Viertel zurückgezogen worden. Bei Redaktionsschluß hatten sich der diensthabende General und die Demonstranten darauf geeinigt, daß die Särge an die Protestieren übergeben werden und eine Beerdigungszeremonie stattfinden kann. Auf die Frage von Journalisten, wie die Beerdigungen angesichts der polizeilichen Ausgangssperre durchgeführt werden sollen, antwortete der Armeekommandant, daß die Frage an den Gouverneur gestellt werden müsse, der die Ausgangssperre ausgerufen hat. Der Kommandeur gab sich betont verbindlich und sprach von „unserem Volk“ und „unseren Bürgern“, die „guten Willens“ seien und – entsprechend ihrer Traditionen – die Toten beisetzen würden.

Nach den Todesschüssen der Polizei auf die alawitischen Demonstranten stehen der türkische Innenminister Nahit Mentese ebenso wie der Gouverneur von Istanbul, Hayri Kozakcioglu, und der Polizeichef der Stadt, Necdet Menzir, im Zentrum der Kritik. Türkische Privatsender zeigten Aufnahmen der schießenden Polizisten. Verletzte, die in zahlreichen Krankenhäusern behandelt werden, klagten in den Medien über das brutale Vorgehen der Polizei. Von der Spitze der mitregierenden Sozialdemokraten CHP kamen scharfe Worte gegen die Ordnungshüter, und ein Abgeordneter der „Partei des rechten Weges“ DYP von Ministerpräsidentin Tansu Çiller kritisierte erregt den Innenminister: „Wie kann Polizei das Feuer auf Bürger eröffnen?“ fragte er auf einer Fraktionssitzung.

Der alawitische Massenprotest und die Todesschüsse haben die türkische Ministerpräsidentin in Bedrängnis gebracht. Die Polizei erhielt strikte Anweisung, sich zurückzuhalten. Der Rückzug der Polizei aus dem Viertel Gazi und die Entsendung von Armee- Einheiten gilt als stillschweigendes Eingeständnis der Politiker.

Doch die Alawiten sind im Aufruhr, und offensichtlich sind Einheiten der Polizei, die außerhalb des Bezirks Gazi in Istanbul im Einsatz sind, nicht unter Kontrolle. In verschiedenen Vierteln Istanbuls demonstrierten gestern Alawiten erneut. In Ümraniye im asiatischen Teil der Stadt – Dutzende Kilometer von Gazi entfernt – kam es erneut zu Schüssen der Polizei. Nach ersten Meldungen soll es mehrere Verletzte geben. Ömer Erzeren

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